berliner szenen Und wieder Wetter

Es wird Ideen regnen

Mein Hagel sammelnder Freund tobt in meiner Küche. Ich musste ihn reinlassen, schon allein wegen der Nachbarn. Es ging nicht anders. Seine nassen Haare kleben dunkel an seiner Stirn. Nichts wird ihn besänftigen. Er ist blass, seine Empörung ist echt und beherzt. Ich drücke ihm eine Dose Bier in die Hand. Er lässt sie fallen. Ich sage ihm, dass das nicht die letzte Gelegenheit gewesen sein wird, seine Hagelsammlung aufzustocken. Er schaut stier aus dem Fenster. Ich bitte, ich bettele. Ich muss die Sache anders angehen: Ich erkläre ihm, dass er auch noch merken wird, dass die reine Anschauung die schalste Erkenntnis bietet. Er solle sich einen Begriff vom Hagel machen, anders sei die Sache nicht zu gewinnen, und erläutere ihm die Freuden der Abstraktion.

„Wer sagt das?“ fragt er. „Ich sage das. Ich und Georg Wilhelm Friedrich Hagel, der große Philosoph des Hagelschlags. Weißte nicht, Phänomenologie des Eises!“ Er findet das alles nicht komisch. Ebenso wenig, als ich Hagel von Tronje, den einsamen, finsteren Helden der Nibelungen in Begleitung von Václav Hagel aufmarschieren lasse, beide mit einer Schnitte mit Hagelbuttenmarmelade proviantiert. Jetzt tut er mir Leid, wie er da sitzt, untröstlich, bei Fuß steht die orangefarbene Kühlbox, auf die er mit blauem Edding das Wort „Zwischenarchiv“ geschrieben hat. Er ist erschüttert – und ich bemerke gerade, wie sich die kleine, gelbe Stelle in seinem limbischen System aktiviert, wo diese ganz besondere Bitternis gespeichert wird, gegen die kein Wort mehr hilft. Draußen regnet es. Dann kommt mir die rettende Idee: Wie wäre es, frage ich ihn, wenn du deine Sammlung etwas ausbauen würdest? „Du meinst: Regen?“ Seine Miene hellt sich auf, ganz im Gegensatz zum Himmel. MONIKA RINCK