PETER AHRENS über PROVINZ
: Keine Chance für Bill Clintons Witzebuch

Seit das ZDF die besten Bücher sucht, habe ich ein Problem: Auf meiner Liste stehen nur die meistgehassten

Um es gleich vorweg klar zu machen: Ich verfüge über kein Lieblingsbuch. Das wird das ZDF, das zurzeit händeringend „Unsere Besten“ zwischen Buchdeckeln sucht, zwar wahrscheinlich nicht besonders jucken. Aber nicht einmal die gesammelten Bush-Witze von Bill Clinton, um die zurzeit so ein Bohei gemacht wird, kann ich in meine Favoritenliste aufnehmen.

Ich war besten Willens. Habe vorm Bücherregal gestanden, während Frau Heidenreich und der eminent sonnengebräunte Herr Naumann in meinem Fernseher den literarischen Einpeitscher gaben und Tolstoi aus dem Gedächtnis memorierten. Ich habe ein Werk nach dem anderen in die Hand genommen, „Flitzi, der Nationalspieler“ genauso wie „Frank Sinatra: Ein erstaunliches Leben“ und Alfred Weidenmanns „Die 50 vom Abendblatt“.

Aber je hartleibiger das ZDF seine Ranking-Agitprop betrieben hat, desto mutloser wurde ich. Vielleicht „Herr Lehmann“. Allerdings wurde ich von einem Freund darauf aufmerksam gemacht, dass in dem Buch die Neuköllner Bürknerstraße, in der ich seit kurzem mein Lager aufgeschlagen habe, vom Autor gleich zweimal erwähnt wird, und das nicht wirklich positiv. Von den „schlechten Vibes von Neukölln, ist da die Rede, „die schwallen auf einen ein, während man durch die Bürknerstraße läuft“. Keine Chance mehr für Herrn Lehmann.

Viel einfacher wäre es gewesen, nach den meistgehassten Büchern zu forschen, nach den ödesten und ärgerlichsten. Florian Illies natürlich, Susanne Haases „Gibt es einen perfekten Platz zum Leben?“ oder Michel Houllebecq, die gesammelten Werke von Sloterdijk, Stuckrad-Barre und Konsorten, leider Gottes auch die Herzschmerzgeschichtchen der ansonsten so sympathischen Christine Westermann oder Amelie Fried, das Alterswerk von Frau Fallaci. Aber danach fragt das ZDF selbstverständlich nicht. Das ist ja eine positiv denkende öffentlich-rechtliche Anstalt, die noch an das Bildungsbürgertum und ans Schöne, Wahre, Gute glaubt. Siehe Michael Steinbrecher. Auf einer sonnenumfluteten Hotelterrasse vorm Swimmingpool irgendwo im Mittelmeerraum.

Unter den gegenwärtigen Umständen nehme ich ohnehin an, dass am Ende die Otto Rehhagel-Biografie „Norbert Kuntze, Porträt eines Meistertrainers“ ganz oben landen wird. Schon der Klappentext verrät: „Der Autor liefert das Porträt eines Aufsteigers, der nach oben wollte, wo immer das auch sein mochte, der unglaubliche Erfolge feierte und dabei doch eckig und kantig blieb und sich diese Straßenmentalität bewahrte, die er in den harten Nachkriegsjahren seiner Jugendzeit verinnerlicht hatte.“ Das ist schön. Wenn man diesen Satz gelesen hat, kann man sich die folgenden 192 Seiten getrost sparen. Und das ist ja immer noch die beste Voraussetzung für einen Bestseller gewesen. Obwohl die Mutter aller Fußballerbücher auf ewig und unangefochten Uwe Seelers „Alle meine Tore“ bleibt.

Das Buch stand in der Hamburger Sportredaktion dieser Zeitung seit Jahren auf einem kleinen Regal, und nach einem langen 26-stündigen-Arbeitstag griff man doch gern zur Lektüre, um, wie es in der Sprache der Weltökonomen heißt, wieder herunterzukommen und sich neu aufzustellen. Und sich bereits an der handgeschriebenen Widmung einer Unbekannten zu erfreuen, die da lautete: „Für meinen Jo. Von einer viel geplagten Fußballbraut. Deine Co.“ Die anschließenden Kapitel, in denen Seeler seine Erlebnisse aus den Spielen gegen Eintracht Frankfurt oder den 1. FC Nürnberg eingangs der 60er-Jahre so plastisch schilderte, als sei er selbst dabei gewesen, hatten so hübsche Überschriften wie „Es wird ernst“, „Ein Tor liegt in der Luft“, „Das Wunder von Bremen“, „Pech klebt an den Stiefeln“ oder „Ran an den Speck“.

Wahrscheinlich ist Seeler auch kein Kandidat für Kerners Liste. Aber seit ich letztens auf einer Hochzeit weilte, auf der wohlerzogene Gäste per Diavortrag „unsere Lieblingseisdiele in Osnabrück“ vorführten, habe ich ohnehin eine gewisse Skepsis gegenüber der Bedeutung von Rangfolgen.

Fotohinweis: PETER AHRENS PROVINZ Fragen zum Hassbuch? kolumne@taz.de Morgen: Kirsten Fuchs über KLEIDER