Viel Beton und wenig Freiheit für die Flüsse im Erzgebirge

Ein nachhaltiges Konzept für Hochwasserschutz gibt es in Sachsen bisher nicht. Und in den Überschwemmungsgebieten wird wieder gebaut

DRESDEN taz ■ Pünktlich zum Jahrestag der Flutkatastrophe in Ostdeutschland ist es so weit. Bundesumweltminister Jürgen Trittin hat Eckpunkte eines neuen Gesetzes zum Hochwasserschutz vorgelegt. Diese sehen deutlich strengere Auflagen vor. So soll es in Überschwemmungsgebieten, die auf Basis 100-jähriger Flussbeobachtungen definiert werden, einen kompletten Neubaustopp geben. Ackerbau soll in Überschwemmungsgebieten nicht mehr oder nur mit von den Ländern zu erlassenden Auflagen erlaubt sein. Ziel ist die Beendigung intensiver Landwirtschaft wie des Maisanbaus zugunsten extensiver Grünwirtschaft: Aus Äckern sollen wieder Auen werden. In den bedrohten Gebieten dürfen auch keine Ölheizungen mehr in Kellern installiert werden.

Doch auch die Länder selbst wollen Maßnahmen ergreifen. So plant der Freistaat Sachsen bis Jahresende Überschwemmungsgebiete auszuweisen. Nach den bisherigen Plänen soll in diesen jedoch die Landwirtschaft uneingeschränkt weiter betrieben werden. Die Siedlung Röderau mitten im Überschwemmungsgebiet der Elbaue bei Riesa wird für 50 Millionen Euro abgetragen, dutzende anderer solcher Siedlungen aber bleiben unangetastet oder werden, wie in Dresden-Laubegast, neu geplant. Sächsische Politiker erklären, dass die Flüsse mehr Raum brauchen, doch im Erzgebirge sind sie inzwischen zu Kanalbetten ausgebaut worden, an deren Ufern nicht einmal mehr eine Erle stehen blieb und in denen die Wassermassen umso schneller zu Tale schießen können.

Offenbar verstand vor Jahresfrist jeder etwas anderes unter der Forderung nach einem nachhaltigen Hochwasserschutz. „Höhere Vernunft“ ist selten im Spiel, und Regierungen und Rathäuser repräsentieren hierbei offenbar wirklich Volkes Meinung. „Ich erlebe so etwas nicht noch einmal“, meinen Bürger und Gewerbetreibende in Königstein am Fuße der berühmten Festung und sind wie viele andere überzeugt, dass es sich bei der Flut um ein Ausnahmeereignis handelte und ihnen die Elbe so schnell nicht mehr bis in das zweite Stockwerk steigen wird. Die gegenwärtige Trockenperiode lässt das Vertrauen auf die Statistik umso gerechtfertigter erscheinen. Die ach so Wilde Weißeritz gleicht einem stehenden Gewässerchen, auf der schmalen Elbe muss die Weiße Flotte eine Fahrrinne suchen.

Und so baut die Deutsche Bahn ihre zerstörten Strecken im Müglitztal oder an der Sachsenmagistrale zwischen Tharandt und Dresden genau so wieder auf wie vor dem großen Wasser. Und viele Bürger von Weesenstein wollen genau dort wieder bauen, wo die Müglitz mehrere Häuser des Ortskerns spurlos verschwinden ließ.

Ökologische Überlegungen haben es nicht nur gegen die Übermacht der Wirtschafts- und Landwirtschaftslobby schwer. Erst zum Ende dieses Jahres sollen alle Hochwasserschutzpläne vorliegen, während bei der Wiederherstellung der Infrastruktur längst Tatsachen geschaffen worden sind. Auf der kommunalen Ebene herrscht außerdem kurzfristiges Denken vor. So hat der Kreistag des Weißeritzkreises dem Neubau der B 170 zwischen dem Süden Dresdens und dem Erzgebirgskamm zugestimmt, obwohl parallel eine Autobahn nach Tschechien gebaut wird.

„Nicht die Flüsse sind über ihre Grenzen getreten, sondern wir haben die Grenzen der Flüsse verletzt“, hatte Umweltminister Trittin auf der Flusskonferenz in Dresden Anfang Juli gesagt. So viel Weitsicht ist vor allem auf den unteren Verantwortungsebenen selten. „Stützmauern sind die Deiche des Erzgebirges“, meinte Karl Matko, Landrat von Aue-Schwarzenberg, und der BUND protestierte. Im gleichen Landkreis hatten mehrere Bürgermeister appelliert, „beim Wiederaufbau nicht ausschließlich ökologischen Aspekten den Vorrang zu geben“.

Umweltministerium und Landestalsperrenverwaltung versuchen dies. Das bislang einzige vorliegende Konzept für den Hochwasserschutz sieht im Osterzgebirge eine Kombination aus Beton und mehr Raum für die Flüsse vor. Neue Mauern und größere Rückhalteräume in den Talsperren sollen für mehr Sicherheit sorgen. Für Naturschützer Tobias Mehnert ist das nur Kosmetik. „In den Kerbtälern des Erzgebirges kann man nur absiedeln oder auf Gott vertrauen!“ Die jahrhundertealten Orte kann man nicht einfach abreißen, das weiß auch Mehnert. Für ihn liegt der Schlüssel zu einem nachhaltigen Hochwasserschutz im Flächenerwerb durch den Staat. Doch während der Freistaat weiter privatisiert, hat der Naturschutzverband Freiberg den Bauern eine rund 500 Meter breite Aue der Flöha vor der gleichnamigen Stadt abhandeln können, die das Hochwasser wieder in eine Art Urzustand versetzt hatte. „Ein Kindertraum“, freut sich Mehnert. MICHAEL BARTSCH