Geschichte wird erzählt: Die Spanischen Filmtage im 3001 gehen in die zweite Woche
: Nachbeben des Faschismus

Fährt am Anfang eines Spielfilms ein Zug in einen Bahnhof ein, verbirgt sich in ihm zumeist ein Stein des Anstoßes für die Handlung. In Carols Reise von Imanol Uribe sind zwei weibliche Figuren die Fracht, durch die eine Geschichte in Bewegung gesetzt wird. Von weit her kommend, aus New York, erfahren eine heimkehrende Mutter und ihre Tochter Ende der 30er Jahre ein ländliches Spanien, in dem Bürgerkrieg und beginnender Faschismus auf den ersten Blick unsichtbar sind. Doch hinter den Fassaden des wohlgeordneten Dorfes, dessen erstes Unterscheidungskriterium sich im Besitzstand präsentiert, brechen die politischen Differenzen auf. Während der republikanische (Groß-) Vater der beiden heimlich Radio hört und die Truppenbewegungen von Republikanern und Faschisten nachstellt, sind andere Verwandte offene Franco-Anhänger und warten auf den Tag, an dem ihnen die Macht in die Hände fallen wird.

Die Tochter Carol, durch deren Handlungen und Sichtweisen sich die Geschichte entfaltet, gerät bald zwischen die Fronten. Als sie sich mit Tomiche befreundet, erfährt sie von nächtlichen Erschießungsaktionen der Faschisten. Auch ihr eigener Vater, der sich bei den Internationalen Brigaden engagiert, sorgt für Feindseligkeiten. So nimmt eine Geschichte ihren Lauf, in der gegensätzliche Einstellungen auf engstem Raum aufeinander prallen.

Doch gerade die Vermittlung der Geschichte durch unschuldige Kinderaugen, deren Herkunft aus weiter Ferne einen unabhängigen Blickwinkel garantiert, erweist sich als filmische Achillesferse. Denn Carol ist mitnichten unvoreingenommen, sondern steht immer auf der „richtigen Seite“. Sie setzt sich über Standesunterschiede hinweg, verabscheut den faschistischen Teil der Familie, überzeugt den Großvater, sich gegen Übergriffe einzusetzen, hilft ihrem Brigaden-Vater bei Kampf und Flucht. Zwar wird so eine starke Mädchenfigur im Film eingesetzt, nur hilft die Eindeutigkeit nicht, den Spanischen Bürgerkrieg und die Hinwendung vieler SpanierInnen zum Francofaschismus zu verstehen. So ist El viaje de Carol zwar ein sehenswerter Film, reicht aber lange nicht an Vorgänger wie 1900 von Bernando Bertolucci heran, der für die filmische Aufarbeitung des Faschismus Maßstäbe setzte.

Auch Die Stadt ohne Grenzen von Antonio Hernández kreist um Verstrickungen während des Francofaschismus. Im Gegensatz zu Carols Reise stellt der Film den mühsamen Prozess der Rekonstruktion von Erlebnissen dar. Victor besucht seinen Vater auf dem Sterbebett, dessen Gedächtnisleistung aufgrund eines Hirntumors eingeschränkt ist. Während die restliche Familie der wiederkehrenden Geschichte des Vaters keinen Glauben schenkt, man müsse einen gewissen Rancel vom Einstieg in den Zug abhalten, geht Victor den Hinweisen nach. So entdeckt er den Faden einer Erzählung, der in die kommunistische Vergangenheit seines Vaters hineinreicht und jede Heldenhaftigkeit seiner eigenen Familie bestreitet. Obwohl die filmische Erzählung geschickt aufgebaut ist, wirken die Nebenstränge künstlich, und die Figuren agieren hölzern.

Eine großartige schauspielerische Leistung vollbringt dagegen Leonor Watling in Meiner Mutter gefallen die Frauen. Hatte Pedro Almodóvar derselben Schauspielerin in Sprich mit ihr das Mundwerk genommen und sie zum regungslosen Körper gemacht, kann Watling nun in die Trickkiste greifen und eine neurosengeplagte Tochter hervorbringen, der es schwer fällt, sexuell eindeutig zu sein. Doro Wiese

„Carols Reise“: Do + Sa 19 Uhr, Fr 21 Uhr; „Die Stadt ohne Grenzen“: Fr + So 19 Uhr, Sa 21 Uhr; „Meiner Mutter gefallen die Frauen“: Do, So + Mo 21 Uhr