Die gehören dazu

Wo sind die denn alle hin? Fragte sich Sandra Bergemann und begann, die „Gesichter der DEFA“ zu fotografieren

„In unserer Mitte ist noch Platz“, wirbt ein Plakat im Foyer des Willy-Brandt-Hauses für die Mitgliedschaft in der SPD. Darauf sind um eine Leerstelle herum Fotos von prominenten Parteimitgliedern wie Kurt Beck oder Roland Kaiser, aber auch von ganz normalen wie einer gewissen Tanja Hinrichs angeordnet. Dass die Porträts die Genossen zum Zeitpunkt ihres Eintritts zeigen, war eine weise Entscheidung der SPD-Kreativen. Angesichts der jüngsten Wahldesaster dürfte seitdem so manches graue Haar, so manche Gesichtsfurche hinzugekommen sein.

Während die SPD neue Mitglieder sucht, gastiert in der Parteizentrale eine Fotoausstellung über Menschen, auf die niemand gewartet hat. Die Wende markiert für viele Ostdeutsche einen „Bruch in ihrer Erwerbsbiografie“, wie Soziologen sagen würden. Ostdeutsche Schauspieler machen da keine Ausnahme. „Wo sind die alle hin?“, habe sie sich gefragt, nachdem sie eine Doku über Helga Göring gesehen habe, den früheren Star des Deutschen Fernsehfunks, erzählt die Fotografin Sandra Bergemann, 1980 in Stralsund geboren: „Die gehören doch dazu wie Inge Meysel und Günther Pfitzmann.“ Bergemann begann, „Gesichter der DEFA“ zu fotografieren.

Seit Donnerstag sind 25 der 40 zwischen 2001 und 2008 entstandenen Porträts im Willy-Brandt-Haus ausgestellt. Darunter auch zwei Fotos von Helga Göring, die in dem kleinen Interviewauszug neben dem Bild erzählt, wie die deutsche Teilung ihre Karriere im Westen verhindert hat. Sie hatte ein Engagement in Hamburg, aber „ein russischer Kommandant hat mich nicht reisen lassen, diese Willkür hat mein Leben sehr beeinflusst. Das war mein Schicksal eben.“ Göring gehört zu den DDR-Schauspielern, die nach der Wende nur noch wenige Drehtage hatten. Schräg gegenüber hängt ein Porträt von Uwe Kockisch, das eine ganz andere Geschichte erzählt. Auf den Knien präsentiert er seinen teuren Alukoffer wie eine Trophäe. Sein Gesicht ist unscharf, dafür zeichnet sich auf dem Foto jede Delle, jeder Kratzer auf dem Gepäckstück deutlich ab. Sie sind zweifellos viel rumgekommen, der Kockisch und sein Koffer.

Die zwei Bilder von Kockisch eröffnen nicht zufällig die Ausstellung – der Grund wird offenkundig, wenn man den kurzen Einführungstext daneben liest: Hier seien nicht nur „Gesichter der DEFA“ zu sehen, sondern Gesichter, „die auch Betrachter aus der ehemaligen Bundesrepublik aus Filmen und dem Theater kennen“. Die Ausstellung will also tunlichst nicht in Ostalgieverdacht geraten – dieser Text ist ein unverständliches Misstrauensvotum gegen die Fotos, die zwar mitunter leise melancholisch sind, aber alles andere als rührselig und rückwärtsgewandt. DAVID DENK