Brandstiftung im Land der Fabeln

Salzburg schwelgt in Orientfantasien: Eröffnet wurden die Festspiele vor drei Wochen mit der „Entführung aus dem Serail“, nun verabschiedete sich der Komponist Hans Werner Henze mit seiner Märchenoper „L’Upupa“ von der Bühne. Ein Überblick

von FRIEDER REININGHAUS

Die Oper bildet noch immer das Herzstück der Salzburger Festspiele. Hans Werner Henzes bunte Märchenoper „L’Upupa“, die dort am Dienstag zur Aufführung kam, bot dabei etwas für Gemüter, die sich nur ungern von den Härten der modernen Welt berühren lassen. Denn: „Märchen sind schöner als die Wirklichkeit“, wie es in einer Ankündigung hieß. Damit war die Generallinie schon vorgegeben.

In der jungen Bundesrepublik galt Henze, der „Wirtschaftswunderkomponist“, als notorischer Hans im Glück. Jetzt kommt einem das mit kräftigem Presserummel und einem vorab publizierten Buch zur Entstehungsgeschichte des Werks herausgebrachte „deutsche Lustspiel“ wie eine Überlebensstrategie des Siebenundsiebzigjährigen vor. „Vergesst mich nicht“, singt der Dämon beim Abschied vom Helden Al Kasim und dessen Gefährtin. Das scheint auch dem Urheber aus dem Herzen gesprochen, der sich mit „L’Upupa“ von der Bühnenwelt zu verabschieden gedenkt.

Ein wenig modisch wirken die „elf Tableaus aus dem Arabischen“, in die so viel deutsches Bildungsgut eingeflossen ist. Der altersmild gestimmte und polyglotte Komponist hat sich eine alte syrische Fabel vom verlorenen Sohn vorgenommen: Die Upupa, ein Glücksvogel aus der Familie der Wiedehopfe, entfliegt, wird gefunden und am Ende wieder in die Freiheit entlassen. Anders als seine beiden Brüder, die der greise Großwesir von Manda ebenfalls zur Wiederbeschaffung des Tiers aussendet, die aber alle ernsthaften Mühen scheuen, entwickelt sich Al Kasim zum Helden, der nach vielen Aventuren zum Vater zurückkehrt: eine tröstliche Geschichte in buntem Gewand.

Jürgen Rose hat das ausschweifende Märchenband mit grellbunten Kulissen versehen, die Dieter Dorn ohne jede Brechung bespielen lässt. Markus Stenz fügt den guten Ton zur frohen Sommerbotschaft: viel ruhig dahinfließende Sanftmütigkeit, die am Ende im Abendschein verdämmert. Dort bricht der Held noch einmal auf, als wolle er eben rasch Zigaretten holen gehen.

Ungleich aktueller war es da in Mozarts „Entführung aus dem Serail“ zugegangen, mit dem die Salzburger Festspiele eröffnet wurden. Im raffinierten Bühnenbild von Gottfried Pilz hatte der junge Norweger Stefan Herheim ein Gesellschaftsspiel präsentierte, das Ort und Zeit absichtsvoll verwischte. Diese Entführung einer „Serail“-Inszenierung ins Irgendwo erzählte, oft recht umständlich, eine Geschichte vom Kinderlachen, und das seit Adam und Eva: Denn unschuldige und naive Liebe gibt es seit der Vertreibung aus dem Paradies nicht mehr, so die Botschaft, oder bestenfalls als Fiktion. Gewaltfantasien und Gewalt, der Wille zur Unterordnung und rüder Zwang brächen immer wieder durch.

Die von Ivor Bolton austarierte Musik fungiert als Klammer für die mitunter fahrige, gar absichtsvoll dilettantisch wirkende Kommentierung der Liebesprobleme. Oder der Emanzipationsfragen, die sich mit dem Blick in die Vorhöfe des Harems eröffnen. Da bekommt die Wasserstoffblondine eine funkelnagelneue Hochleistungsküche auf die Bühne gezaubert – genauso, wie es den blonden Frauen in der Haushaltsreklame der orientalischen Welt widerfährt. Der Harem zeigt sich in Gestalt heutiger Familienverhältnisse und mit moderner Verve: als Projektion der Westeuropäer.

Zwischen diesen beiden Aufführungen hatte sich Martin Kusej, der designierte Schauspielchef der Salzburger Festspiele, in der vergangenen Wochen eines Spätwerks Mozarts angenommen. Bereits im vergangenen Jahr hatte er mit Nikolaus Harnoncourt den „Don Giovanni“ in Bewegung gebracht. Bis zum Jahr 2006, in dem der 250. Geburtstag des „Wunderkindes“ gefeiert wird, soll aus der Handschrift dieses Teams ein ganzer neuer Mozart-Zyklus hervorgehen.

Bei „La clemenza di Tito“ bespielte Kusej nun eine viergeschossige Betonkonstruktion mit vielen Türen und Nischen. Die Korridore sind sparsam möbliert, mit ein paar Wandtelefonen und Feuerlöschern, einem Aufzug und ein paar Schiffsleuchten. Die vier Etagen bieten sich, wie das Liniensystem einer Partitur, auch zur Darstellung der Geschehnisse auf verschiedenen Ebenen an.

Hier irrt Titus, der Imperator, zunächst treppauf und treppab. In der Mitte aber wartet die Herzkammer des Reichs: Einzig dieser größere Raum mit dem schlichten Bett wurde von den Baumeistern fertiggestellt, verkleidet im Stil der Mussolini-Ära. Der Regisseur verzichtet dankenswerterweise darauf, die Gegenwärtigkeit des Textes zu behaupten. Sein Kaiser wird wie ein Ausstellungsobjekt von den nachgeborenen Museumsgängern bestaunt und verehrt. In diese Touristenwelt nun platzt ein Terroranschlag: die große Brandstiftung, zu der Schwarzvermummte ausgiebig herumschleichen. Lange wird gefackelt, dann rummst es kräftig.

Kusej und Harnoncourt haben den Aufruhr plastisch gemacht. Nach der Pause sieht man Rauchmale an den Betonstützen und auf den Kostümen; das immergrüne Bäumchen der Felsenreitschule hat schlagartig alle Blätter verloren. Genau so ernst wie die Eruption der Gewalt wird – von der intensiven Klangrede des Dirigenten und vom Regisseur – Titos Abwehrstrategie durch fortwährende Nachgiebigkeit genommen.

Die „Entsagung“, zu der die Hauptfiguren dieser Oper verurteilt sind, ist wesentlich auf menschliches Versagen zurückzuführen. Das macht sie am Ende so sympathisch.