Tödliche Intoleranz ist ein Mordmerkmal

Wer aus Gründen der Ehre tötet, darf in aller Regel nicht auf mildernde Umstände hoffen

Abweichende Wertvorstellungen des Täters sind in Deutschland prinzipiell nicht relevant

FREIBURG taz ■ Der Begriff „Ehrenmord“ kommt im Strafgesetzbuch nicht vor. Definiert ist dort nur der Mord. Als Mörder wird jemand bestraft, wenn er einen anderen absichtlich tötet und zusätzlich ein Merkmal wie „Heimtücke“, „Habgier“ oder „niedrige Beweggründe“ erfüllt.

Wenn ein Familienmitglied getötet wird, weil der Familie dessen Lebensstil nicht gefällt, gilt diese tödliche Intoleranz in aller Regel als „niedriger Beweggrund“. Maßstab sind hierbei „mitteleuropäische Wertvorstellungen“, wie der Bundesgerichtshof (BGH) im Jahr 2004 ausdrücklich betonte. Abweichende Wertvorstellungen in der Herkunftsregion des Täters seien in Deutschland prinzipiell nicht relevant.

Allerdings genügt es nicht, dass eine Tat objektiv aus niedrigen Beweggründen erfolgte, dem Täter muss laut BGH subjektiv klar gewesen sein, dass er verachtenswert handelt. Daran kann es in Einzelfällen fehlen, wenn ein Täter erst seit kurzem hier lebt. Wenn er aber die hiesigen Werte kennt und sie ablehnt, ist dies irrelevant.

Doch auch wenn das Mordmerkmal der „niedrigen Beweggründe“ im Einzelfall fehlt, geht der Täter nicht straffrei aus, sondern wird wegen Totschlags bestraft, was zumeist eine Freiheitsstrafe von fünf bis fünfzehn Jahren bedeutet.

Darauf kam es im Hamburger Fall aber nicht an. Dort lautete die entscheidende Frage, ob der Täter vermindert schuldfähig war. Das ist kein typisches Problem von Ehrenmord-Prozessen. Bei Delikten aller Art berufen sich Verteidiger auf verminderte Schuldfähigkeit, etwa wegen Alkoholkonsums oder einer Persönlichkeitsstörung.

Typisch für Ehrenmord-Prozesse ist dagegen die mögliche Mittäterschaft von Familienangehörigen. Wenn die Tat vom Familienrat beschlossen wurde, können auch die Angehörigen wegen Mordes bestraft werden und nicht nur der (oft minderjährige) Ausführende des Beschlusses. Dass es einen gemeinsamen Tatplan gab, muss allerdings bewiesen werden. Beim Mord an der Berlinerin Hatun Sürücü war dies bislang nicht zu beweisen. Ayhan Sürücü wurde als Schütze wegen Mordes verurteilt, seine beiden Brüder zunächst freigesprochen. Der BGH hob die Freisprüche auf, ein neuer Prozess steht noch aus.CHRISTIAN RATH