Überlebenskünstler mit neuer Aufgabe

Der spanische Sozialist und ehemalige Minister Josep Borrell wird neuer Präsident des Europäischen Parlaments

Das Europäische Parlament hat mit dem Spanier Josep Borrell Fontelles einen Überlebenskünstler zum Präsidenten gewählt. Immer wenn die politische Karriere des 57-Jährigen endgültig beendet schien, gelang ihm ein Comeback. Zum letzten Mal bei den Europawahlen im vergangenen Monat. Borrell führte Spaniens Sozialisten zum Wahlsieg.

Zuvor war der Wirtschaftswissenschaftler und Luftfahrtingenieur in der Versenkung verschwunden. Seine eigene Partei hatte geholfen, ihn abzusägen. Der Grund: Borrell, der in der Regierung von Felipe González von 1991 bis zur Wahl 1996 das Amt des Ministers für Öffentliche Arbeiten und Transport innegehabt hatte, wagte 1998 das Unglaubliche: Er bewarb sich bei einer Mitgliederabstimmung für das Amt des Spitzenkandidaten der PSOE für die spanischen Parlamentswahlen 2000. „Ich wollte sehen, ob Wasser im Schwimmbecken ist“, begründete er seinen Entschluss, der der gesamten Parteispitze missfiel.

Und es war Wasser im Becken. Borrell gewann gegen seinen Mitbewerber Joaquín Almunia, Parteichef und Favorit des erst kurz zuvor von der Parteispitze zurückgetretenen jahrelangen Ministerpräsidenten González. Wenig später machten Gerüchte über einen Korruptionsskandal im Finanzamt die Runde. Die Fälle fielen in die Zeit, als Borrell dem Fiskus als Staatssekretär vorstand (1984–1991).

Borrell trat als PSOE-Kandidat zurück und machte dem Kronprinzen Almunia den Weg frei. Der verlor die Wahlen. Der Dolchstoß der eigenen Genossen war geglückt. Zu leicht hatte es Borrell seinen innerparteilichen Gegnern gemacht. Denn der Bäckersohn aus dem katalanischen Lerida gefällt sich in der Rolle des Einzelgängers. Das ist fatal in einer Partei, die von mächtigen Strömungen beherrscht wird und die sich immer wieder in zähen Kämpfen Machtquoten abringt. Borrell schien endgültig politisch erledigt zu sein.

Doch der ruhige und oft auch arrogant wirkende Borrell nahm Bücher und Akten zur Hand und bereitete sich auf sein nächstes politisches Leben vor. Europa hieß das Ziel.

Bald schon wurde er als spanischer Vertreter in den Konvent geschickt, der die Reformvorschläge und die Verfassung für die EU ausarbeitete. Der neue Parteichef der Sozialisten, der im März diesen Jahres zum Regierungspräsidenten gewählte José Luis Zapatero, dankte Borrell dieses Engagement und ließ dessen Traum vom siegreichen Spitzenkandidat doch noch wahr werden.

Jetzt ist es es dem smarten Borrell, Lebensgefährten der spanischen Umweltministerin Cristina Narbona, offenbar gelungen, nicht nur die Sozialisten in Straßburg für sich zu gewinnen. Borrell hat sich vor allem ein Ziel gesteckt: „Denn Menschen europäische Vorgänge näher bringen und verständlich machen.“ Nach der niedrigen Wahlbeteiligung bei der letzten Europawahl ist dieses sicher eine lohneswerte Aufgabe.

REINER WANDLER