Enttäuschung für den Osten Europas

Neuer EP-Präsident wird der Spanier Borrell. Achtungserfolg für den polnischen Exaußenminister Geremek

STRASSBURG taz ■ Als die frisch gebackenen polnischen Parlamentsmitarbeiter gestern Mittag vom Straßburger Bahnhof zum ersten Mal zum Parlamentsgebäude fuhren, wartete die erste Enttäuschung bereits auf sie: Im ersten Wahlgang schon hatte das „technische Bündnis“ der beiden großen Fraktionen, der Sozialisten und der Konservativen, gegriffen. Mit 388 von 647 gültigen Stimmen wurde der spanische Sozialist Josep Borrell zum neuen Präsidenten des Europäischen Parlaments gewählt. Die Hoffnung vieler neuer Parlamentarier aus dem Osten, einer von ihnen könnte den Vorsitz übernehmen, war damit zu Ende.

Sein Gegenkandidat, der von Liberalen und Grünen favorisierte Pole Bronislaw Geremek, erhielt 208 Stimmen – „ein ehrenhaftes Ergebnis“, wie Graham Watson, Vorsitzender der liberalen Fraktion, meinte. Für die beiden großen Parteien fand er harte Worte: „Eine solche Allianz ist unnatürlich. Sie sollte Krisen- oder Kriegszeiten vorbehalten bleiben. Unsere Bürger haben die Nase voll von der undurchsichtigen Art, in der dieses Parlament arbeitet.“ 80 Abgeordnete der großen Fraktionen sollen für Geremek gestimmt haben.

Geremek selber meinte, er habe die Erfahrung in der neuen Rolle als Kandidat für das Amt des Parlamentspräsidenten genossen: „Ich bin ein guter Schüler gewesen – in einer der besten Klassen, die man sich denken kann. Ich habe mich an diesem Spiel nicht beteiligt, um ein bisschen Verwirrung zu stiften. Ich bin angetreten, um zu gewinnen. Und ich bin enttäuscht, dass es mir nicht gelungen ist.“

Dass sich Geremek, der noch am Wochenende in persönlichen Gesprächen Parlamentarier anderer Parteien für sich zu gewinnen versuchte, schon im ersten Wahlgang einer großen Koalition aus Sozialisten und Konservativen gegenüber sah, ist ein schlechtes Omen für die parlamentarische Arbeit der kommenden Monate. Bislang nahmen es die Abgeordneten meist weniger genau mit dem Fraktionszwang als ihre nationalen Kollegen. Deshalb war das EP öfter für eine Überraschung gut und die Karten wurden bei jeder Entscheidung neu gemischt. Damit scheint es nun vorbei.

DANIELA WEINGÄRTNER

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