romance do rio
: Samba in Rio, Tango in Buenos Aires

In Rio wäre so etwas kaum möglich: Wer sind „unsere“ Frauen? Die Brasilianer sind das Volk der 1.000 Farben und Formen

Wären Städte Menschen, dann wäre die Innenstadt von Rio de Janeiro eine heruntergekommene Diva aus alten, glorreichen Zeiten. In ihrem zerfurchten Gesicht schimmert noch ihre frühere, extravagante Schönheit durch. Zickig ist sie nicht, die Diva, eher eine unglücklich gealterte Dame, die jetzt einen Buckel bekommen hat. Rio hat wunderschöne, aber heruntergekommene historische Gebäude im Stadtzentrum – mit Graffiti besprüht, vom Stadtdreck verdunkelt, einige mit vernagelten Fenstern oder angemoosten Fassaden. Tropischer Verfall liegt über der Innenstadt, die Zeit und die Vernachlässigung haben der alten Dame zugesetzt. Trotzdem, an ihren Stränden ist sie immer noch jung und schön, leichtlebig und leichtfüßig. Sie tänzelt, in ihren Buchten wirft sie ihren Besuchern Luftküsschen zu, in den Sambakneipen von Lapa sitzt sie mit am Tisch und süffelt einen Cachaça – das Girl von Ipanema, tatsächlich. Ich treffe sie, das ausgiebig lachende, lebensgierige Wesen, wenn ich ein eisgekühltes Kokoswasser am Strand trinke oder laut mit Freunden quatschend herzerwärmende Live-Musik höre. Leben und leben lassen. Auch so fühlt sich Rio de Janeiro an.

Vor allem, weil ich gerade aus Buenos Aires zurückkomme. Die argentinische Hauptstadt wirkt auf mich wie ein einziges, quadratisch angelegtes Freilichtmuseum voller Antiquitätenläden, wunderbarer Jugendstilhäuserfassaden, pittoresker Caféhäuser und bunt bemalter Busse. Die Hitze ist trocken, nicht so feucht-anschmiegsam wie in Rio, die Leute tragen gebügelte Hemden statt Flipflops und statt junger Menschen in Eckkneipen sieht man ältere Herrschaften in Kaffeehäusern, die gepflegt Zeitung lesen. Die Kellner bedienen mich wie beleidigte Tangotänzer: Kinn hoch, Schultern nach unten. In Brasilien gibt es eine andere, landesweit funktionierende Geste: Daumen hoch, Mundwinkel nach oben. Damit versteht man sich auch ohne Worte.

Argentinier gelten unter Latinos als arrogant und werden dafür liebevoll verhöhnt. „Du fährst nach Buenos Aires, tolle Stadt!“, meinte ein brasilianischer Freund und erzählte mir einen Witz. „Was ist das beste Geschäft deines Lebens? Du kaufst einen Argentinier für das, was er wert ist. Und verkaufst ihn wieder für das, was er meint, dass er wert sei!“ Lacht und haut mir vor Vergnügen auf den Rücken.

„Haha, den Witz hat ja schon der Ché erzählt!“, meint pikiert der argentinische Freund meiner mexikanischen Freundin, die ich in Buenos Aires besuche. Er lacht nicht. Abends dann, in einem Restaurant, belausche ich den Nationalstolz an einem fleischbeladenen Nachbartisch. „Wir Argentinier haben einfach das beste Rindfleisch! Und erst unsere Frauen. Einmal war ich ja in Mexiko im Urlaub, aber all diese verhutzelten, kleinen, runden Frauen …“ In Rio wäre so ein Gespräch schwer möglich – wer sind schon „unsere“ Frauen, wenn die Brasilianer doch das Volk der 1.000 Farben und Formen sind? Von käseweiß über zimtfarben bis schokobraun ist alles dabei. Wer sind „wir“, wenn wir so viele sind? Und wozu den eigenen Stolz hochhalten, wo doch Gelassenheit eine nationale Tugend ist?

Rückflug nach Rio. Die brasilianischen Migrationsbeamten sind schon wieder sehr jung, wieder sehr nett und stempeln mir anstandslos ein weiteres Touristenvisum in den Pass. Die Dame vom Sicherheitscheck interessiert sich nicht für Bomben oder Waffen in meinem Gepäck, sondern dafür, wo ich meine schönen Sonnenhüte gekauft habe? Blumen oder Bänder wären doch eine nette Verzierung, schlägt sie mir vor. Daumen hoch, Mundwinkel nach oben! Brasilien eben. MIRIAM JANKE