Trainer mit besonderem Reiz

Viele wünschen sich, dass die Bremer Erfolge der Vorsaison mehr waren als ein Ausrutscher nach oben und dass hier endlich einmal das kluge System die Macht des Geldes längerfristig brechen kann. Garant dafür scheint Trainer Thomas Schaaf

AUS BREMENBENNO SCHIRRMEISTER

Das Telefon schrillt, aber der Kollege vom Fachblatt winkt ab. „Wir gehen noch nicht ran.“ Irgendwie ist der Terminplan ins Rutschen gekommen. Das Kicker-Fantelefon ist offiziell ab 13 Uhr besetzt, Gesprächspartner ist Werder-Trainer Thomas Schaaf. Jetzt ist es jedenfalls genau 12.53 Uhr. Bleiben noch sieben Minuten für die taz. Sieben Minuten für ein Interview?

In Bremen ist der Trainer der Star, spätestens seit Torjäger Ailton weg ist. Ach die PR-Abteilung des Vereins hat das längst bemerkt: Auf den Plakaten, die Mitglieder werben sollen, prangt Schaafs markanter Kopf, er blickt geradeaus und zeigt in Uncle-Sam-Manier auf den Betrachter: „Ich will dich!“ Aber das ist ein Thema, auf das Schaaf nicht anspringt. Er sieht Sportdirektor Klaus Allofs und überhaupt „jeden, der mit der Mannschaft zu tun hat“, mindestens ebenso im Fokus der Aufmerksamkeit wie sich selbst – da hilft alles nichts. Und die Zeit drängt.

Vorhin war Pünktlichkeit das Thema, auf dem Weg durch die Stadion-Katakomben hoch in die Geschäftsstelle. Die Aufwärm-Frage: Ob es ihn überrascht habe, dass Ailton, erste Sensation der neuen Bundesliga-Saison, pünktlich zum Trainingsbeginn auf Schalke erschienen war. „Nö“, sagt Thomas Schaaf. Er war einmal Verteidiger – das Auflaufenlassen verlernt man nicht so schnell. Aber das Tempo aus dem Spiel nehmen heißt ja nicht, dass der Ball im Aus landen muss: Toni hätte unbedingt nach Gelsenkirchen gewollt, „der war hoch motiviert“, nimmt der Meister-Trainer den Faden wieder auf. Er habe das erwartet. „Der wollte doch einen guten Einstand haben.“

Unvergessen bleibt, dass Schaaf es war, der den schrägen Paradiesvogel überhaupt erst bundesligatauglich gemacht hat. Trotzdem: Wenn da irgendein Groll über den Wechsel des Brasilianers mitschwingen sollte, dann so leise und fein dosiert, dass höchstens Schaaf selbst ihn bemerkt. Selbst wenn am heutigen Freitagabend zum Saisonauftakt ausgerechnet Schalke 04 zu Gast im Weserstadion ist – mit Ailton und mit Mladen Kristajic. Aufgeheizte Stimmung? Das würde er so nicht sagen. Immerhin räumt er ein, dass es wohl „ein besonderes Spiel“ werde – „für die beiden“. Dass die Bremer ihre Exhelden auspfeifen, glaubt er nicht. „Zumindest nicht, solange wir Erfolg haben.“

Der Apparat schrillt, das Fußballvolk will endlich zu Thomas Schaaf, und in diesem Moment wird es auch wirklich 13 Uhr. Jedes Telefonat dauert rund drei Minuten, gut 20 werden erledigt, eine Pause gibt es nicht. Zunächst muss der Fan die Hürde Hans-Günter Klemm überwinden: Der Kicker-Redakteur hebt ab, schnarrt seinen Namen, beruhigt dann, dass gleich auch der Trainer drankomme. „Ich brauche nur vorher noch Namen, Alter, Wohnort.“ Alles wird beflissen notiert. „Können Sie das buchstabieren?“ Einer ruft aus Bayern an und klagt, dass er dort als Werder-Anhänger so einsam sei. Ein anderer nutzt das Telefon seiner Arbeitsstelle und freut sich, dass er endlich durchgekommen ist.

Dann wird Schaaf die Fragen beantworten: die bange, ob denn die neue Verteidigung stark genug sein wird. Die investigative, ob er es nicht für sinnvoll hielte, die strengen Handballregeln gegen Zeitspiel in den Fußball zu übertragen. Oder auch nur die abgedroschene: eie er denn das Ligapokalfinale gegen die Bayern am Montag gefunden habe.

Dass es „ein schwaches Spiel, vor allem in der ersten Halbzeit“ gewesen sei, gar „lauer Sommerfußball“, hatte der Meistertrainer noch im Anschluss an die Pressekonferenz in etliche Aufnahmegeräte beten müssen, gezwungen von den Funk- und Fernsehjournalisten. Klar, euphorisch macht er das nicht, warum sollte er. Aber auch nicht polternd – und schon gar nicht genervt.

Von der D-Jugend an bei Werder war der Spieler Thomas Schaaf immer ein ganz unauffälliger. 15 Jahre gehörte er zum Bundesliga-Kader. Aber die Ausbeute in den Pressearchiven ist spärlich: Ein, zwei Verletzungen, ein Treffer im Elfmeterschießen, der Abschied – mehr gab’s nicht zu schreiben. Erst im Laufe der Meistersaison haben die Journalisten entdeckt, dass seine lakonischen Statements einen besonderen Reiz haben: Die hellgraue Fleece-Jacke ist zum Kultobjekt avanciert, Schaafismus die Wortschöpfung des Fußballjahres, und was vorher als dröge galt, heißt jetzt: trockener Humor. Hat der Erfolg die Wahrnehmung verändert – oder doch die Person? Kicker-Redakteur Klemm findet, „der Thomas“ sei „viel offener geworden“. Schaaf sagt, es werde nur allmählich eine Seite an ihm bemerkt, „die vorher niemand gesehen hat“.

Für einen Medienliebling sind die Auftritte noch immer herzlich unspektakulär. Da baut sich Schaaf also an der zugewiesenen Stelle vor der Kamera auf, hält still und blickt geradeaus in die Objektive. Der Ausdruck der blauen Augen schwankt irgendwo zwischen belustigtem Desinteresse und freundlicher Zuwendung. Dann sagt er das Sprüchlein noch einmal, dass er unzufrieden gewesen sei mit dem lauen Sommerfußball des Ligapokalfinales, besonders mit der ersten Halbzeit, und dass er mit der Mannschaft schon über das schwache Spiel geredet habe. Einfach, sachlich, als wär’s das erste Mal, und so geduldig wie ein Wunschpapa seinen Kindern die Geheimnisse der Arithmetik erläutert. Spurlos ist es an Schaaf jedenfalls nicht vorübergegangen, dass er noch während seiner Profizeit als Jugendtrainer für den Verein gearbeitet hat.

Seit Thomas Schaaf die Mannschaft übernommen hat, ist an der Weser die Fußballwelt entschieden intakt: 1999 war das. Zuvor war Felix Magath hier mit seinem Kasernenhof-Stil gescheitert. Disziplin? Doch, die halte auch er „für sehr wichtig im Fußball“, sagt der Werder-Coach. Aber Schaaf legt auch Wert darauf, dass sie „nicht willkürlich“ sein dürfe, sondern auf „klaren Regeln basieren“ müsse, „an die sich jeder halten kann“. Das genau ist der Unterschied zwischen einer Diktatur und einer aufgeklärten Monarchie.

Vielleicht ist Bremen deshalb so etwas wie der Hoffnungsschimmer der Fußballlandschaft: Viele wünschen sich, dass die Erfolge mehr waren als ein erfreulicher Betriebsunfall. Dass hier endlich einmal längerfristig das kluge System die Macht des Geldes bricht: Während die übrigen Vereine mit Titelambitionen sich von den Bayern nur durch eine weniger erfolgreiche Einkaufspolitik abheben, verstärkt man sich an der Weser konsequent preisgünstig. Fünf Millionen Euro Ablöse hat Stürmer Miroslav Klose gekostet. Er war damit der mit Abstand teuerste Transfer der Vereinsgeschichte.

„Werder hat alles richtig gemacht“, urteilt anerkennend der Fach-Journalist. „Vor allem dieser Gustavo Nery, den keiner kennt, der scheint ganz große Klasse zu sein.“ Für 500.000 Euro kommt der aus Saõ Paulo: ein echter Schnäppchenpreis für einen Linksfuß, der Innenverteidigung, Sturm und Mittelfeld spielen kann und mit der brasilianischen Seleçaõ die Copa America gewonnen hat. Was soll da noch schief gehen? Die werden doch wohl wieder vorne mitspielen?

Wenn jemand auf die Euphorie-Bremse tritt, dann ist das Schaaf selber. Bemängelt, dass ja die Copa America eine schöne Sache sei, aber dass er persönlich den Neuzugang lieber schon bei der Saisonvorbereitung dabeigehabt hätte. Sagt, ob die Mannschaft die Dreifachbelastung in Liga, Pokal und Champions League aushält, „das wissen wir nicht“. Zu viel mehr lässt er sich nicht verleiten. Schon gar nicht zu Spekulationen.