Blitze in der Fußgängerzone

Kunst für Daheimgebliebene (4): Aktionskunst. In den Städten versammelten sich neuerdings kurzfristig die Massen, um anonym Krawall zu stiften

Mit deutschen Trends ist es gegenwärtig so eine Sache: Sie kommen aus Berlin, dagegen ist einfach nichts zu machen. Also waren auch die Berliner wieder mal die Ersten: Vor dem Kaufhaus des Westens versammelte sich ein Grüppchen, das wie auf Kommando in seine Handys schrie und kurz drauf wieder verschwand. Der erste Flash-Mob hatte es von New York über verschiedene europäische Metropolen bis nach Deutschland geschafft und wurde prompt zur liebsten Freizeitbeschäftigung einiger öffentlich Bewegter in diesem Sommer.

Jetzt sind die Berliner auch die Ersten, die den Trend versauen: Der erste kommerziell genutzte Flash-Mob, veranstaltet von einer „Partnervermittlung“ namens „Paarty“, fand auch hier statt. Das war’s dann wohl mit der kleinen Revolution. So ein Pech. Was hätte da nicht alles draus werden können. So schienen die Flash-Mobs für einen Moment die Rückkehr der Aktionskunst in die Mitte einer spaß-sedierten Gesellschaft zu verheißen – soziale, gar politische Brisanz inbegriffen. Einen regelrecht dadaistisch inspirierten Aufbruchsgeist schien die Republik in den letzten Wochen zu atmen – die Flash-Mobber als Brüder und Schwestern im Geiste von Wolf Vostell und Nam June Paik. Angesichts großmäulig von Museen verheißener Gefahren, die sich dann doch nicht einstellten, weil der deutsche Gesetzgeber sie nachhaltig zu verhindern wusste, schienen die ästhetisch wertvollen Gefahren endlich dahin zurückzukehren, wo sie herkamen: auf die Straße.

Zuvor gerieten allein durchgedrehte Einzelne gelegentlich ins warme Licht des öffentlichen Interesses – Blitzer, die nackt über Spielfelder in Stadien liefen, Stalker, die Prominenten nachjagten, Kaufhaus-Erpresser, die ein bisschen Witz in die deutsche Kriminalistik brachten. Aktionen in der Gruppe schienen von jeher weniger prädestiniert, ästhetisch ansprechenden Furor zu verursachen. Der Flash-Mob jedoch zelebriert das Auftreten einer Gruppe mit einem dezidiert künstlerischen Interesse: Wirkung ohne Inhalt. Message mit Appeal, aber ohne Sinn.

Das Beste an den Flash-Mobs war unleugbar ihre Gleichzeitigkeit: Individualismus und Konformität, Gefahr und Sicherheit, Sichtbarkeit und Anonymität – all das war simultan präsent, wo immer sich ein Blitz formierte. Flash-Mobs bedeuteten das Vorrücken der sinnfreien Anarchie in die Mitte der Gesellschaft – mit Spaßgarantie.

Im Gegensatz zur elitären Performance oder der öffentlich ausgeübten Individualattacke auf die Gesellschaft trägt der neuzeitliche Mob zudem alle Anzeichen der modernen Demokratie – die Informationen darüber verbreiten sich kostenlos und prinzipiell für jeden zugänglich im Netz, jeder kann mitmachen –, und das Wichtigste: Es hat keine Konsequenzen – auch keine unangenehmen. Wo Künstler wie Joseph Beuys wegen aufrührerischer Aktionen der Akademie verwiesen wurden und künstlerische Extremsportler wie Bas Jan Ader das Fallen zum gesundheitsgefährdenden Lebensprinzip erhoben, ist der Flash-Mob nett, amüsant, Aktions-Fastfood, Freizeitsport ohne blaue Flecken – mehr auch nicht.

Also entspricht es lediglich frommem Wunschdenken, die Flash-Mobs bereits als Beginn einer neuen Politisierung der Jugend zu lesen. Diese „Revolution von unten“ oder vielmehr die Revolution aus dem Word Wide Web, wie es einige Medienapologeten in getreuer Nachfolge des eben wieder entdeckten Howard Rheingold und seines „Smart Mobs“ imaginierten, sie bleibt ein Fantasieprodukt. Für diese Art von Dada-meets-Agitprop-Happening braucht es schließlich ein Mindestmaß an entsprechender Vorbildung, um den Humorgehalt des Ganzen zu goutieren. Am Ende aller hochtourigen Überlegungen der letzten Wochen bleibt, wie so oft, nur dies: Vielleicht war das Phänomen des blitzartig auftauchenden Pöbels einzig eine der Hitze geschuldete Erscheinung, eine kühlende Welle, die pünktlich zum Ende des Sommerlochs wieder im Meer verebbt – wie diese Serie.

MAGDALENA KRÖNER