LATEINAMERIKAS DIKTATUREN WERDEN UNTERSCHIEDLICH AUFGEARBEITET
: Einige Foltergeneräle müssen zittern

Es wirkt schon paradox. Gerade etabliert sich Argentinien als führendes Land Lateinamerikas bei der Aufarbeitung seiner grausamen Vergangenheit, da werden über 30 Mitglieder der früheren Militär-Junta aus der Untersuchungshaft entlassen. Dabei erlaubt die Annullierung der Amnestiegesetze aus den 80er-Jahren jetzt eigentlich, Prozesse gegen die Hauptverantwortlichen zu führen. Gerät der Kampf für Wahrheit und Gerechtigkeit nun ins Stocken? War der mutige Einsatz der Mütter und Großmütter des Plaza de Mayo umsonst?

In Kolumbien werden die Täter nicht verfolgt. In Guatemala darf der Schlächter Rios Montt sogar mit Erlaubnis des Obersten Gerichts Präsidentschaftskandidat werden. In Brasilien, Uruguay und Paraguay verschließen die Verantwortlichen fest die Augen vor der Vergangenheit. Und doch ist der Drang nach mehr Gerechtigkeit kaum aufzuhalten: In Peru enthält der Bericht der Wahrheitskommission fast 70.000 Opfer politischer Gewalt. Anders als in Guatemala nannte die Kommission auch mögliche Täter; nun ist die Staatsanwaltschaft gefordert. In Chile hallt noch der erfolglose Prozess gegen Pinochet nach, aber bessere Entschädigungen für Opfer werden diskutiert. Und Kronzeugenregelungen sind im Gespräch – insgesamt scheint die Zeit reif für neue Verfahren.

Dazu muss es nun auch am Rio de la Plata kommen. Es bleibt zu hoffen, dass die Freilassung nur erfolgte, weil Spanien offiziell auf eine Auslieferung verzichtete. Nachdem jetzt nur noch einige Formalien eine Anklage im Land verhindern, liegt es bald an der argentinischen Justiz, tätig zu werden. Dabei muss es nicht zwingend zu Verurteilungen kommen, sollte es im Einzelfall an Beweisen fehlen. Schon die Tatsache, dass faire Prozesse überhaupt stattfinden, wird zu mehr Wahrheit und zu Genugtuung bei den Opfern führen. Friedensnobelpreisträger Pérez Esquivel befürchtet, die konservativ besetzte Justiz könnte nun zu einem größeren Hindernis bei der Aufarbeitung werden als das Militär selbst. Man wünscht ihm sehr, einmal nicht Recht zu haben. NILS GEISSLER

Sprecher der AG Straflosigkeit bei amnesty international