taz-serie (5): wie fahren wir 2010?
: Der Fluch des Handys

Schließt Ältere nicht aus!

Der mobile Mensch unserer Zeit braucht kein Auto, er braucht ein Handy und eine Kundenkarte beim Mobilitätsprovider. Denn er fährt Call a Bike: Ein Anruf genügt, und das Fahrrad an der Ecke steht zur Verfügung. Denn er nutzt Carsharing: Per Internet gebucht und mit der Chipkarte eingeloggt, hat er ein Auto, wann er will. Künftig soll der Zugang zu allen Verkehrsmitteln so funktionieren. Damit soll es einfacher werden, vom Auto in die Bahn, vom Bus auf das Fahrrad umzusteigen. „Integrierten Verkehr“ nennen das die Experten. Diesen zu realisieren ist ihr Traum – und das seit mehr als 60 Jahren.

Das hört sich alles gut an. Doch was ist mit denen, die beim Weg zum Einkaufen weiterhin ohne Internet und Handy auskommen möchten? Was mit denen, die damit nicht umgehen können? Für ältere Menschen sind die Angebote nicht gemacht. Für die, die ein weniger dickes Portemonnaie haben, auch nicht. So sind die technologischen Neuerungen bei genauerer Betrachtung die Hemmschwelle der neuen Verkehrsdienstleistungen: „unflexible“ soziale Gruppen bleiben außen vor.

Der typische Call a Bike oder Deutsche Bahn-Carsharing-Nutzer ist männlich, Single, um die 30 Jahre, verdient gut und besitzt neben der Bahncard auch eine Bonuskarte einer Fluggesellschaft. Mit den Angeboten werden nicht die bisherigen Kunden des öffentlichen Nahverkehrs, sondern die aufstrebenden, urbanen Mittelschichten angesprochen.

Noch kennzeichnet der barrierefreie Zugang den öffentlichen Nahverkehr. Die bereits „veröffentlichten Privatverkehrsmittel“, Auto und Fahrrad, sind hingegen nur für die registrierte Kundschaft zugänglich – selbstverständlich nach einer Bonitätsprüfung. Ist die erste Hürde beim Mobilitätsprovider, also die Anmeldung per Internet oder Telefon, überwunden, geht es für den weniger modern ausgestatteten Nutzer erst los mit den Problemen: Wer kein Handy hat und sich ein Call a Bike mieten will, ist auf das Glück angewiesen, neben dem DB-Mietrad an der Straßenecke auch eine öffentliche Telefonzelle anzutreffen. Ansonsten müsste er sich die Nummer merken, ein Telefon suchen – und hoffen, dass das Fahrrad in der Zwischenzeit noch nicht anderweitig vemietet wurde. Das Mobiltelefon, das in Bussen und Bahnen bisher auf öffentlich unangemessene Weise zum Einklinken in die Privatsphäre drängt, wird plötzlich unabdingbar, damit man den öffentlichen Privatverkehr nutzen kann.

Im Klartext: Wer aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht in der Lage ist, mit Handy und Internet umzugehen, wird in Zukunft Schwierigkeiten haben, seine physischen Mobilitätsbedürfnisse kostengünstig – oder überhaupt – zu befriedigen. Aus dem allgemeinen Zugang gegen Zahlung eines allgemeinen Verkehrsmittel (Geld) wird potenziell ein exklusiver Zugang durch privaten Besitz eines elektronischen Geräts.

Für die neuen Großstadteliten ist das kein Problem. Viele Bürger aber wird sie von der Teilhabe an den Verkehrsmitteln ausschließen. So kommt es durch die Hintertür zu einer weiteren Entöffentlichung des öffentlichen Verkehrs.

MARTIN GEGNER

Der Autor ist Politologe und arbeitet in der Projektgruppe Mobilität am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Nächste Woche: Mein Auto kennt den Weg, Assistenzsysteme im Auto