Eine Frage der Macht

Hochschulen sind ein Bereich, in dem der Bund eine Rahmenkompetenz übernommen hat. Eine echte Aushöhlung aber können langjährige Abgeordnete nicht feststellen

So richtig ausgehöhlt fühlen sie sich nicht, die altgedienten Mitglieder des Abgeordnetenhauses. Weder der grüne Verkehrsexperte Michael Cramer, Parlamentarier seit März 1989, noch der CDU-Baupolitiker Manuel Heide, seit 1985 dabei, kann auf Anhieb Kompetenzen nennen, die ihnen verloren gegangen wären. Cramer stellt etwas anderes fest: dass bei der Gesetzgebung immer mehr der Senat im Mittelpunkt steht, die eigentlich entscheidende Beratung im Parlament zum Nachklapp wird.

SPD-Mann Hans-Georg Lorenz, der 1979 ins Abgeordnetenhaus kam, sieht einen schleichenden Prozess, der vielen kaum bewusst werde. Er verweist dazu auf das Ausländerrecht, das inzwischen weitgehend von der Europäischen Union beeinflusst sei. Martina Michels (PDS), seit 1991 dabei, Parlamentsvize und Chefin des Europaausschusses, hält die EU-Komponente für oft unterschätzt, nennt als Beispiel dafür die Risikoabschirmung für die Bankgesellschaft.

Der Föderalismuskonvent, in dem sich im Frühjahr Präsidenten und Fraktionschefs der Landtage organisiert haben, sieht durch zunehmende Zentralisierung die politische Legitimation gefährdet. Der wissenschaftliche Dienst des Abgeordnetenhauses nennt vor allem die Hochschulen als Bereich verringerten Einflusses. Dort erhielt der Bund 1969 die Rahmenkompetenz. Das habe wegen dortiger Regelungen zur Folge, dass das Land nicht eigenständig Studiengebühren festlegen oder das politische Mandat einräumen könne.

Der Vorsitzende des Konvents, Sachsen-Anhalts Parlamentschef Adolf Spotka, sieht die Beteiligung der Länder auf einen „Exekutivföderalismus“ beschränkt. Zwar gehen 60 bis 70 Prozent aller Bundesgesetze durch den Bundesrat als Länderkammer – 1949 waren es etwa 10 Prozent. Dort aber sitzen Vertreter der jeweiligen Landesregierung, keine originären Parlamentarier – selbst wenn sie, wie im Berliner Senat Klaus Wowereit und die Senatoren Böger und Strieder (alle SPD), ein Abgeordnetenmandat haben.

PDS-Politikerin Michels verweist darauf, dass es auf Europäischer Ebene ähnlich aussieht: Das Berliner Mitglied im Conseil des régions, in dem Ausschuss der Regionen, bestimme der Senat. Erst seinen Vertreter wähle das Abgeordnetenhaus.

Rein räumlich verstieß Berlin zudem über Jahrzehnte gegen das Montesquieu’sche Gebot der Gewaltenteilung: Regierung und Parlament saßen unter einem Dach im Rathaus Schöneberg, bis der Senat 1991 ins Rote Rathaus wechselte. Das Abgeordnetenhaus zog 1993 in den früheren Preußischen Landtag in Mitte.

Zur Erinnerung: Auf Bundesebene darf Berlin offiziell erst seit der Wiedervereinigung 1990 mitentscheiden. Hiesige Bundestagsmitglieder wurden vorher nicht direkt, sondern vom Abgeordnetenhaus gewählt, konnten im Plenum Entscheidungen nicht beeinflussen. Bundesgesetzen musste das Abgeordnetenhaus erst zustimmen, bevor sie in Berlin galten. Hintergrund: ein Schreiben der Alliierten vom Mai 1949, dass Berlin nicht vom Bund regiert werden dürfe. Im Bundesrat stellte Berlin zwar vier Mitglieder, deren Stimmen wurden aber getrennt gezählt und nicht gewertet.

STEFAN ALBERTI