Kalter Blick auf die Revolte

Das Oldenburgische Staatstheater zeigt mit „Platz der Republik“ ein Stück über die Aufstände in den Pariser Vorstädten. Es versucht eine Antwort auf die Frage, warum die Jugendlichen ihr eigenes Viertel abgebrannt haben. Sympathisch werden sie einem dabei nicht

VON ANNEDORE BEELTE

Dieser endlose Moment hat das Potenzial, sich in die Alpträume zu schleichen. Dieses gurgelnde Geräusch, zwischen Prusten und Röcheln. Das Haar von Patrizia Wapinska, das sich in der Pfütze mit Wasser vollsaugt. Die unerbittliche Hand in ihrem Nacken. Nach einer gefühlten Ewigkeit ist es still.

Die Dramatikerin Katharina Schmitt hat für das Oldenburgische Staatstheater ein Stück über den Aufstand der Ausgegrenzten in den Pariser Vorstädten geschrieben. „Platz der Republik“ ist eine kalte Explosion von Gewalt, eine Explosion ohne Wut. Es ist nicht der gerechte Zorn der Unterdrückten, der hier durchbricht. Die Jugendlichen haben keine Ziele, keine Utopien, noch nicht mal ein Feindbild. Es braucht nicht mal eine Hand, um die Dialogzeilen abzuzählen, die Schmitt den Begründungen der Jugendlichen für ihr Tun widmet. „Die Bibliotheken, die Kindergärten, der Park, alle sind sie nutzlos, alle enden sie dort, wo mein Leben anfängt“, sagt ein Junge. Und ein Mädchen sagt: „Um mich herum ist alles nur unerwünscht, da kann ich mich nicht einmal selbst ausschließen.“

Die Sensiblen wenden die Gewalt gegen sich selbst, die Zyniker benutzen sie, um Macht auszuüben und ihre Opfer zu demütigen. Natürlich, möchte man fast sagen, ist es das Mädchen, das zu der suizidalen Schlussfolgerung kommt: „Ich werde alles was nutzlos ist und unerwünscht auslöschen.“ Da ist es nur konsequent, wenn die beiden Jungen das Mädchen in einem anarchisch-brutalen Rausch ertränken, in einer Szene, die an die Gewaltphantasien des jungen Shakespeare erinnert. Sie tun das einfach, weil sie sie nicht dabei haben wollen. „Keine Mädchen“, sagt einer lakonisch.

Das selbstdestruktive Moment in den Vorstadtkrawallen hat sie interessiert, sagt Katharina Schmitt. „Warum brennen sie ihr eigenes Viertel ab? Warum kommen sie nicht ins Zentrum und zünden das Haus des Premierministers an?“, fragt die Regisseurin und Dramatikerin. Für sie hängt das mit der Aufteilung des städtischen Raumes in isolierte Zonen zusammen. 1854 erhielt die Place de la République, die dem Stück den Namen gegeben hat, im Pariser Stadtzentrum ihre heutige Gestalt. Die Vision des Architekten bestand darin, dass die Artillerie bequem auf den revoltierenden Pöbel schießen kann, sobald er sich auf den breiten Boulevards näherte, weithin sichtbar wie Hasen auf verschneitem Feld. Heute findet die Revolution darum dort statt, wo sie niemand sieht.

Katharina Schmitt, 29, ist in Wildeshausen bei Bremen aufgewachsen, heute pendelt sie zwischen Tschechien und Berlin. In der Wahl ihres Stoffes, erzählt sie, habe sie alle Freiheiten gehabt. Und so hat sie den verlorenen Jugendlichen die Gestalt des Premierminister gegenübergestellt, der kein zynischer Machtmensch ist wie Nicolas Sarkozy, der damals Innenminister war, sondern ein zielstrebiger Märtyrer. Sehenden Auges geht er vom Zentrum in die Peripherie, um sich erschießen zu lassen. Zwischen einem der Jungen und dem Premier entspinnt sich sogar ein Austausch von Liebeserklärungen, über mehrere Szenen und die Distanz zwischen Vorstadt und Zentrum hinweg.

Schmitt strapaziert an dieser Stelle ihre These, dass die Gewalt ein Versuch der Kommunikation, ein Ausdruck der Sehnsucht ist, vielleicht ein bisschen zu sehr. Doch sie zeigt überzeugend, dass sich Kommunikation nicht erzwingen lässt. „Platz der Republik“ besteht vor allem aus Monologen. An deren Ende steht oft ein Ausbruch tätlicher Gewalt – vielleicht weil niemand geantwortet hat.

Die niederländische Regisseurin Susanne Kennedy verstärkt dieses Moment noch, indem sie fast jeglichen Ansatz zu einer Handlung ausspart. Lediglich die Szenenanweisungen laufen als Leuchtschrift über ein Display: „Prügelt Schwester“. Kennedys Inszenierung erstickt jegliche Empathie im Keim. Alle Charaktere sind gleich unsympathisch. Wenn die Verzweiflung wächst, macht sich das höchstens darin bemerkbar, dass die Monologe in ein nerviges Quengeln übergehen.

Das Bühne des Oldenburgischen Staatstheaters wird dabei nicht von Blut und Feuer beherrscht, den Insignien revolutionärer Leidenschaft, sondern von Wasser. Wie ein ausgetrockneter Gartenteich ist sie mit Folie ausgelegt, auf der sich Wasser in Pfützen sammelt. Am Schluss ist niemand weiser. Aber alle sind mehr oder weniger durchweicht.

Nächste Vorstellungen: 4., 8., 11., 13. März, Oldenburgisches Staatstheater