EuGH: Mehr Schlaf für Ärzte

Gerichtshof verkündet Ende der Bereitschaftsdienste in Krankenhäusern. Geläuterter Wirtschaftsminister Clement: schnellstmöglich umsetzen. Auch andere Berufsgruppen könnten profitieren: Polizisten und Krankenschwestern hoffen

„Bereitschaftsdienst ist ohnehin Ausdruck eines überholten Klinikmodells“

von MAREKE ADEN

Den deutschen Ärzten steht ein Ende der Bereitschaftsdienste bevor. Die ungeliebten Dienste von 16 Stunden, die oft zwischen zwei normalen Schichten liegen, sind nach europäischem Recht illegal, entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg gestern: „In vollem Umfang“ sei ein Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit einzustufen, „auch wenn der Arzt sich in der Zeit, in der er nicht in Anspruch genommen wird, an der Arbeitsstelle ausruhen darf“, heißt es in dem Urteil. Das richet sich gegen die, die behauptet hatten, ein ähnliches Urteil des EuGH in einem spanischen Fall sei nicht auf Deutschland übertragbar, weil die spanischen Dienste härter seien als die deutschen.

Nun müssen sich die Arbeitszeiten der Ärzte und auch die Diensteinteilungen ändern. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement ist gewappnet: Er versprach nicht nur eine „schnellstmögliche Umsetzung“, sondern bezog sich gleich auch auf andere Berufsgruppen: „Das Urteil berührt nicht nur Krankenhäuser, sondern auch andere Branchen, in denen es vergleichbare Arbeitszeitorganisationen gibt“, hieß es in seiner Erklärung.

Gemeint sind das Pflegepersonal in Krankenhäusern oder Polizisten, die wie Ärzte oft nachts arbeiten müssen. Die Gewerkschaft der Polizei fordert seit einiger Zeit, der Gesetzgeber solle endlich „zu Potte kommen“.

Die Ankündigung des Wirtschaftsministers, schnell zu handeln, kam überraschend, überraschender zumindest als das Urteil selbst – die bisherige Rechtsprechung und der Schlussantrag zum aktuellen Bescheid sprachen für einen Sieg der Ärzte. Bisher hatte die Regierung auf Zeit gespielt und die überfällige Änderung des Arbeitszeitgesetzes immer wieder verschoben.

Das lag daran, dass diese Änderung die Arbeitswelt tatsächlich aufwirbelt. Zwischen 15.000 und 27.000 neue Stellen für Ärzte bräuchten die Kliniken in Deutschland ohne den Bereitschaftsdienst, haben verschiedene Ärztevertretungen ausgerechnet. Das Bundesgesundheitsministerium stellt 700 Millionen Euro für neue Stellen und die Erprobung neuer Arbeitszeitmodelle zur Verfügung. Doch in den Krankenhäusern ist man skeptisch. Eine Stunde nach dem Urteil gestern kamen die ersten Angstmeldungen aus Krankenhäusern: „Das Urteil bereitet uns Schwierigkeiten“, sagte der Personalchef einer Essener Klinik. Man brauche mehr Geld als veranschlagt.

Vergnügt war dagegen der Sprecher des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) in Hamburg: „Ein schönes Urteil.“ Für die sieben städtischen Krankenhäuser des Stadtstaats bereitet der Betrieb schon vor zweieinhalb Jahren ein neues Arbeitszeitmodell vor, das ohne den Bereitschaftsdienst auskommt, „weil er sowieso Ausdruck eines überholten Klinikmodells ist“, sagte Siegmar Eligehausen. In den 50er-Jahren hätten die Ärzte tatsächlich während der Bereitschaft kaum gearbeitet, weil jeder Patient viel länger im Krankenhaus gelegen habe. Aber intensivere Medizin bedeutet auch für die Ärzte intensivere Arbeit.

In einem Pilotprojekt durften 66 Ärzte die Zahl ihrer Arbeitsstunden aussuchen: Sie konnten 38,5 tarifliche Stunden unter Lohnverzicht arbeiten oder die europäische Höchstgrenze von 48 Stunden auskosten. Auch eine Stundenzahl dazwischen stand zur Wahl. Trotzdem entschieden sich 90 Prozent der Ärzte für die Mindestarbeitszeit. Mit dem Geld aus dem niedrigeren Lohn hätten die Kliniken kostenneutral sechs Ärzte einstellen können. Obwohl diese Stellen nur intern ausgeschrieben waren, also nur für 1.450 Ärzte zugänglich, hätten sich 60 beworben.

Nicht nur die Arbeitszeit, auch die Arbeit selbst wird anders gestaltet. Die Ärzte arbeiten in größeren Einheiten, in der Nacht stehen weniger Spezialisten bereit, weil „für die Wehwehchen in der Nacht ohnehin eher Allgemeinmediziner benötigt werden“. Das neueste Hamburger Krankenhaus soll sogar ohne Ruheraum für Ärzte gebaut werden.

Eligehausen rechnet damit, dass das Modell bis 2005 in allen städtischen Krankenhäusern durchgesetzt ist und dass dann ohne Mehrkosten 70 bis 100 neue Ärzte eingestellt werden. Auch vor dem viel beschworenen Ärztemangel hat er keine Angst. „Stellen mit festen Arbeitszeiten sind vor allem für viele junge Menschen wieder interessant“, sagt er.

Auf solche Initiativen baut auch die Politik. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt verwies gestern alle aufgeschreckten Kliniken auf ihre Website. Dort werden die Krankenhäuser vorgestellt, die schon vor dem Urteil die Arbeitszeiten geändert haben – und nicht wie die Regierung auf Zeit spielten.