CHILES BEITRAG ZUM KAMPF GEGEN DEN TERRORISMUS
: Dreißig Jahre 11. September

Aus der Antwort des chilenischen Außenministeriums auf eine Demarche des State Department der USA:

… Nach Jahrzehnten einer mörderischen Diktatur und einer schwierigen Periode demokratischen Wiederaufbaus ist Chile imstande, einen nicht unbeträchtlichen Beitrag im Kampf um die Befreiung vom Terrorismus zu leisten.

Voraussetzung für diesen Beitrag ist die öffentliche Konfrontation mit den Fakten unserer Geschichte, vor allem die gründliche Klärung der Vorgänge vor, an und nach dem 11. September 1973. Ohne solche Klärung ist eine gesunde freiheitliche Entwicklung kaum denkbar.

Organe der chilenischen Justiz ermitteln deshalb seit Jahren gegen zahlreiche Beteiligte des Pinochet-Putsches, der zunächst zum Tod des Präsidenten Allende in der aus der Luft angegriffenen Moneda und in der Folge zu Massakern genozidalen Ausmaßes führte.

Im Laufe der Ermittlungen ergab sich, dass viele Aspekte dieser Ereignisse nur durch Vernehmung oder schriftliche Erklärungen von US-amerikanischen Persönlichkeiten transparent werden konnten. Es ergingen deshalb zahlreiche Ersuchen um US-amerikanische Amtshilfe, die leider nie beantwortet wurden.

Trotz der eingeschränkten Beweislage lagen indes so viele Indizien gegen den damaligen Sicherheitsberater des Präsidenten, Henry K., vor, dass seine Einbeziehung in den Tatbestand der Anklage nicht mehr zu vermeiden war und dass der zu erwartende historische Prozess ohne seine physische Anwesenheit bestenfalls ein wenig überzeugender Torso werden würde. Die Justizbehörden der Republik stellten deshalb Auslieferungsantrag, der leider ebenfalls nicht beantwortet wurde.

Diese Umstände zwangen zu dem Vorgehen, das Gegenstand Ihrer Demarche ist. Dieses Vorgehen hat sich aus der historischen Notwendigkeit des Kampfes gegen den Terrorismus entwickelt und hat viele Präzedenzfälle, nicht zuletzt auch in der Konfliktpraxis der USA. Die Republik erteilte der Spezialeinheit „Espadas Limpias“ den entsprechenden Auftrag, der dann ja auch in makelloser Weise und ohne Kollateralschäden durchgeführt werden konnte. (Der Beagle-Rüde, mit dem Henry K. zum Zeitpunkt seiner Festnahme spazieren ging, wurde dem Hauspersonal in Georgetown gesund und munter übergeben.)

Die Vorwürfe und Drohungen Ihrer Demarche sind also unfundiert. Sie wären in etwa berechtigt, wenn Sie sich dazu entschließen könnten, Henry K. einem internationalen Gerichtshof zu überstellen, ein Schritt, dem wir unsere freudige Unterstützung gewährt hätten. Dies war und ist jedoch bei der bekannten Einstellung Ihrer Regierung und Ihres Parlaments zu internationalem Recht ausgeschlossen. So bleibt nur die von uns schweren Herzens gewählte Möglichkeit.

Der Angeklagte Henry K. befindet sich zurzeit in Untersuchungshaft, in der er sich mit Hilfe hervorragender Anwälte auf die juristische Auseinandersetzung vorbereitet. Er genießt alle in einem zivilisierten Staatswesen festgeschriebenen Rechte dieser Untersuchungshaft – sehr im Gegensatz etwa zu den Gefangenen in Guantánamo. Wenn wir Ihnen seinen genauen Aufenthaltsort nicht mitteilen, so geschieht dies ausschließlich zu seinem eigenen Schutz. Es steht zu befürchten, dass seine Aussage mächtige Interessen im internationalen Maßstab empfindlich treffen würde, und wir kennen die möglichen Folgen. Ohnehin darf seine Bemerkung als halbes Geständnis gewertet werden, dass man „nicht zusehen könne, wie das chilenische Volk aus Verantwortungslosigkeit kommunistisch“ werde oder werden wolle.

Wir sehen der weiteren Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus nicht ohne Spannung entgegen.

Santiago, den 11. September 2003

CARL AMERY

Der Autor, 81, ist einer der großen engagierten Schriftsteller der Bundesrepublik. U. a. war er Mitglied der „Gruppe 47“