montagskolumne: meinhard rohr zur lage der nation im spiegel seines wissens
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Kommt ein Pferd in die Kneipe. Sagt der Barkeeper: „Warum so’n langes Gesicht?“ – kapiert? Als ich 1968 noch zu den labernden Linken im lethargischen Lande gehörte, da hätte Tränen ich über einen solchen Spaßwitz geschmunzelt.

Heute nicht mehr, denn lange Gesichter, Antlitze und Visagen dominieren das Straßenbild. Vor allem in Berlin-Mitte, dem Nabel und Babel Deutschlands. Als Kolumnist mit dem Ohr unter dem Teppich des Zeitgeists fließt mir der Grund für diese Miesepetrigkeit natürlich leicht aus der Feder wie gut gekühlter Rotwein die Kehle hinab. Es ist der Herbst, der die Spaßgesellschaft unterminiert wie eine melancholische Meta-, Mega- und Mörder-Miniermotte. Kalt klirrt der Wind durch die Kastanienallee, knatternd und klappernd wie sonst nur meine schiefen Metaphern. Wer jetzt kein Vogelhäuschen hat, der baut sich keines mehr. Wer jetzt aber auf den Fernsehturm steigt, der sieht in der Ferne schon den Altweibersommer. Oder wenigstens ein paar alte Weiber.

Diese Kolumne erscheint in loser, aber leider häufiger Folge.