„Hier nicht meine Zeit absitzen“

Nach dem Verlust der Macht: Ex-Ministerpräsident Sigmar Gabriel spricht über seine Strategie, wie die SPD Niedersachsen wieder auf die Beine kommen will – unter anderem mit Coaching für den Fraktionsvorsitzenden und „besten Samurai“

taz: Ein gutes halbes Jahr nach der Abwahl – wie fühlen Sie sich?Sigmar Gabriel: Gut. Damit meine ich, dass es mir persönlich gut geht. Politisch ist die Sache natürlich schwierig.

Wie lebt es sich damit, wenn es aus allen Ecken wispert, der Gabriel muss noch Wunden lecken? Kein Politiker fühlt sich gut, wenn er eine Wahlniederlage kassiert hat. Vor allem nicht, wenn sie unnötig und – so sagen die Wahlforscher – vor allem der Berliner Politik geschuldet war.

Kürzlich war zu lesen, Sie würden sich einem Coaching unterziehen, um die Niederlage zu verwinden. Ist das nicht die Fortsetzung des politischen Harakiri, dem sich die Landes-SPD derzeit unterzieht?Journalisten geht es wie den meisten Politikern: Sie reden gern über modernes Management, lassen das aber für den eigenen Berufsstand nicht gelten. Um bei der japanischen Kriegertradition zu bleiben: Auch der beste Samurai sollte seine Stärken stärken und seine Schwächen ausgleichen. Harakiri ist, wenn er das nicht tut. Neues lernen macht Spaß und ist eine Chance, sich zu qualifizieren.

Wie wollen Sie ihr Image des intelligenten, charmanten Schnellschützen loswerden?Ich weiß gar nicht, ob ich das loswerden will. Spontaneität und Kreativität sind doch ein Bestandteil von Politik. Man muss Politik auch als ein Stück Wagnis begreifen. Wenn Sie zehn Vorschläge machen, kann es passieren, dass sich fünf nicht realisieren lassen. Aber genau die fünf Vorschläge sind mir wichtig.

Ihre Fraktion beschwert sich, dass Sie mehr daheim in Goslar oder – wie gerade – in China sind als in Hannover. Müssen Sie präsenter werden?Da hören Sie wohl das Gras wachsen. Im Ernst: Die SPD wird in Niedersachsen nicht stärker, wenn ich hier in Hannover meine Zeit absitze, schon gar nicht in der Sommerpause.

Man hört auch, dass Sie zur EU gehen wollen. Oder nach Berlin – hier sind Sie als neuer Innenminister oder als Generalsekretär der SPD im Gespräch. Wäre das nichts?Ganz bestimmt nicht.

Die neue CDU-FDP-Regierung baut Stellen ab, kürzt Milliarden. Warum kann die SPD trotzdem nicht die Lufthoheit in Niedersachsen gewinnen?Wir haben in der Sommerpause daran gearbeitet, wie wir unsere Rolle besser definieren können. Wichtig ist, dass uns die Landesregierung nicht mehr die Tagesordnung vorschreibt. Wir müssen eigene Themen setzen. Wenn man so will, starten wir derzeit einen Neuantritt. Allerdings sind viele Leistungsträger aus der vergangenen Legislatur nicht mehr im Landtag, viele Neue müssen aufgebaut werden.

Welche Themen wollen Sie setzen?Die Landesregierung hat die Jugendarbeitslosigkeit sträflich vernachlässigt. Ab Ende September werde ich Arbeitsämter im Land besuchen. Auch in den Kommunen will ich nachhaken, wie sie mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zurechtkommen.

Was macht Ministerpräsident Wulff richtig?Er macht eine gute Performance. In der Außendarstellung ist das Okay. Aber er begeht auch dramatische und strukturelle Fehler.

Welche?Man kann nicht bei sinkenden Schülerzahlen mehr Lehrer einstellen und dafür trotz steigender Studentenzahlen 750 Stellen an den Universitäten kürzen. Zweiter großer Fehler: Die Verwaltungsreform. Niedersachsen zerschlägt gerade eine Verwaltungsstruktur, wie sie in Baden-Württemberg gerade wieder eingeführt wird. Selbst Herr Koch in Hessen ist davon abgerückt, seine Bezirksregierungen zu zerschlagen.

Die desolate Lage der Bundes-SPD hilft Ihnen aber auch nicht sehr viel weiter.Niemand kann sagen, dass die Sozialdemokraten gerade Rückenwind haben. Wir sind in Schwierigkeiten geraten, weil wir uns nicht getraut haben, manches noch vor der Wahl anzufassen. Mein Problem ist auch, dass wir Reformen nicht mit genug Gerechtigkeit verbinden. Wegen der Senkung des Spitzensteuersatzes bekomme ich als „Besserverdiener“ in den nächsten Jahren viel Geld in die Tasche gesteckt. Dass wir und die CDU bei der Gesundheitsreform vereinbart haben, im Wesentlichen Kosten auf die Versicherten zu verlagern, ist ein Fehler. Statt dessen sollten wir mehr auf Wettbewerb setzen und Schluss machen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen.

Definitiv: Werden Sie 2008 als SPD-Spitzenkandidat für Niedersachsen in den Wahlkampf ziehen?Na klar. Wenn ich das nicht im Blick hätte, wäre ich nicht angetreten.

Interview: Kai Schöneberg