der verschiebe-bahnhof der madame aubron von ANDRÉ PARIS
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Ende der Achtzigerjahre arbeitete ich an der Tankstelle eines französischen Mineralölkonzerns als Tankwart und Kassierer. Für Madame Aubron, die kleine, rothaarige Pächterin der Tankstelle, war ich jedoch mehr als nur Tankwart: Ich war ihr Putzluder und Prügelknabe in einem.

Das Steckenpferd der Madame Aubron hieß: „Kleiner Verschiebe-Bahnhof“: Gemeint war eine besonders umständliche Methode, die ich zur täglichen Reinigung der Verkaufsregale anzuwenden hatte. Die Dosen mit Bremsflüssigkeit und Motoröl durften bei Androhung der Kündigung nicht aus dem Regal geräumt werden. Döschen für Döschen musste verschoben werden, um darunter zu wischen. „Na, A. P., haben wir heute schon unseren kleinen Verschiebe-Bahnhof gemacht?“, mahnte sie mich, wenn sie die Tankstelle zu einer ihrer zahllosen Kontrollen heimsuchte. Es war mir egal, dass sie mich mit meinen Initialen anredete. Demütigender war, dass ich den kleinen Arbeitskittel meines Vorgängers tragen musste. Seine Ärmel reichten bis kurz unter meine Ellenbogen. „Das ist die Vorschrift, A. P. Wenn ich Sie ohne Kittel erwische, ziehe ich ihnen einen Stundenlohn ab. Und vergessen Sie nicht, die Kunden zu fragen, ob es sonst noch etwas sein darf!“

Madame Aubron zog mir einen Stundenlohn für alles Mögliche ab. Das war ihr zweites Steckenpferd. So herrschte für die Angestellten Rauchverbot. Madame hatte ein Heidengeld investiert, um den Innenbereich mit Rauchmeldern und einer Sprinkleranlage auszustatten. Daher war es nur abends möglich, sich eine anzustecken. Draußen, bei den Luftdruckgeräten, wenn der alte Drache verschwunden war.

Genau dort erwischte sie mich am Ende meiner ersten Arbeitswoche. Es war eine milde Spätherbstnacht. Im Radio kündigte sich ein Börsencrash an. Ich feuerte schon mal meinen Kittel in die Ecke, spazierte ans Ende der Tankstelle und steckte mir eine an. Kaum hatte ich den ersten Zug gemacht, als ein Cabriolet an die Zapfsäulen düste. Ich machte mich deshalb nicht verrückt; die Frau darin trug eine dunkle Sonnenbrille und ein gelbes Kopftuch, aber das war ihr Problem. Ich wartete, bis sie fertig war, schlenderte nach ihr in den Kassenraum und nannte den Betrag. Sie legte wortlos einen Schein auf die Ablage. Als ich mit dem Wechselgeld rausrückte, riss sie sich das Tuch und die Sonnenbrille vom Kopf. „AAH PEEH! Einen Stundenlohn fürs Rauchen, einen Stundenlohn weil Sie Ihren Kittel nicht tragen!“ Sie flitzte durch den Laden und fahndete unter der Ware nach Staubkörnern: „KEINEN VERSCHIEBE-BAHNHOF GEMACHT! Also, ein weiterer Stundenlohn. Und einen letzten Stundenlohn, weil Sie nicht gefragt haben, ob es sonst noch etwas sein darf!“

Dann verschwand sie wieder.

Auf die Tour knöpfte sie mir den Lohn für vier Stunden Arbeit ab. Den Kittel habe ich nie wieder angezogen. Stattdessen öffnete ich den Kofferraum meines Peugeot und ließ etliche Stangen Gauloises sowie einige Kanister Synthetik-Öl darin verschwinden, als Vorauszahlung auf alle kommenden Lohnabzüge. Dann rauschte ich davon, in eine Nacht aus Nylon.