Toleranz versus Dialog

Bagdad, Jerusalem, Aachen: Die Ausstellung „Ex Oriente – Isaak und der weiße Elefant“ macht eine Reise durch drei Kulturen in der Zeit um 800. Die Zeit um 2003 mischt dabei notwendigerweise mit

von HELMUT HÖGE

In Aachen findet gerade eine der größten Ausstellungen statt, die es dort jemals gab – dazu noch im so genannten Krönungssaal des Rathauses und im Dom, wo sich bis dato noch nie eine Ausstellung ausbreiten durfte. Und dann ist der Ausstellungsschwerpunkt „Bagdad“ derzeit auch noch politisch so aufgeladen, dass es die Aachen-Touristen scharenweise zu diesem städtischen Topevent zieht. Zudem gab es anfangs jede Menge Ärger – und damit Publicity. So hatten sich zum Beispiel im Internet-Meinungsforum zur „Ex Oriente“ auch fundamentalistische Islamisten zu Wort gemeldet. Das brachte dem Ausstellungsmacher Wolfgang Dreßen, ehemals zum undogmatischen Flügel des SDS gehörender Politologe aus Berlin, eine schriftliche Abmahnung von den „Antideutschen“ ein, die sich als Linke verstehen, gleichzeitig eine radikale Unterstützerposition der Regierungen Bush und Scharon für sich reklamieren, für die sie vor allem in den Zeitschriften Konkret, Junge Welt, Jungle World und Bahamas warben. Ihren Vorwurf, er schüre damit den Antisemitismus, schickten sie dann auch gleich an seine Vorgesetzten, den Rektor der Düsseldorfer Fachhochschule, den Minister für Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen sowie an den Aachener Bürgermeister und den Bischof der Domstadt. Via Internet bekam Dreßen dafür Schützenhilfe von Rechten, die die „zionistische Hetze“ gegen die Ausstellung beklagten. Das Internetforum wurde daraufhin vom Minister geschlossen.

Dreßen beklagte darüber hinaus einige weitere „Akte der Zensur“: So sei von kirchlicher Seite ein Video des israelischen Künstlers Eyal Sivan entfernt worden, in dem der sich kritisch mit der „religiösen Besetzung“ der Stadt Jerusalem auseinander setzte. Der Leiter des städtischen Kulturamtes warf Dreßen anschließend vor, er habe eigenmächtig das Video gegen eine andere Arbeit des Israelis ausgetauscht und das habe man nicht hinnehmen wollen. Am Ende fielen noch einige weitere Arbeiten zeitgenössischer Künstler dem Dissens zum Opfer – und die drei Kuratoren, aus städtischem Kunstamt, Dom und Fachhochschule Düsseldorf, zerstritten sich. Worum geht es aber nun in ihrer Ausstellung?

Im Jahr 797 schickte Karl der Große, der damals noch nicht der Größte war, eine dreiköpfige Friedensmission mit wertvollen Geschenken in die Kulturhauptstadt Bagdad, wo der inzwischen ebenfalls als groß geltende Kalif Harun al-Raschid herrschte (wie in „Tausendundeiner Nacht“). Nach fünf Jahren kehrte einer aus der fränkischen Freundschaftsexpedition lebend nach Aachen zurück: ihr Mitbürger, der jüdische Kaufmann Isaak. Als Gegengeschenk brachte er einen weißen Elefanten vom Kalifen mit, den Karl der Große bald auf seinen Feldzügen gegen die Sachsen einsetzte. Diese erneute beschwerliche Reise gen Norden überlebte das Tier nicht. Die erste Etappe hatte es, seinen unbekannten Führer und den Aachener Gesandten Isaak von Bagdad nach Jerusalem, von da aus nach Tunesien und von dort mit dem Schiff nach Ligurien geführt, dann weiter durch Frankreich bis nach Aachen.

In der schon 1996 konzipierten Ausstellung, die eigentlich zuerst in Köln gezeigt werden sollte, hat sich Wolfgang Dreßen, der an der Düsseldorfer Fachhochschule über Rechtsextremismus forscht und lehrt, auf die drei Städte Bagdad, Jerusalem und Aachen konzentriert. Sie symbolisieren für ihn die drei Religionen – Islam, Judentum und Christentum. Bagdad hatte damals allerdings 1,5 Millionen Einwohner, Aachen dagegen nur etwa 500, und in Bagdad – einer blühenden Handelsmetropole – fanden alle Religionen Respekt: Hier residierte nicht nur der jüdische Exilarch, sondern hier praktizierten auch Zarathustra-Anhänger, Manichäer, Christen und Buddhisten – gegen eine geringe Sondersteuer. Ohnehin war die Stadt am Tigris händlerisch eher nach Osten, nach Persien, Indien und vor allem China ausgerichtet, philosophisch aber zehrte man auch vom alten Griechenland. Ansonsten kamen aus dem Westen, genauer gesagt aus Osteuropa, vor allem Sklaven. Aus dem Reich des Aacheners, dessen Thron – aus Marmorplatten, die vermutlich aus der Jerusalemer Grabeskirche stammen – noch immer im Dom steht, wurden Jagdhunde und seltsamerweise Schwerter in den Orient exportiert. Vielleicht versteht man jetzt, warum der rheinische Waffenexport nach Bagdad auf eine lange Tradition zurückblicken kann, die gepflegt werden will.

Dreßen wollte nun mit der Ausstellung die lange Reise des Isaak „praktisch und politisch nachvollziehen“. Dass die Dom-Schatzkammerverwaltung davon begeistert war, beruhte seiner Meinung nach auf einem bloßen „Missverständnis“: Sie verstanden den Plan als Dialog, während es dem Projektmacher dabei eher um Toleranz ging. Und die Stadt machte dann mit, weil die Kirche zugesagt hatte: „Sie wollten eine Religionsausstellung“. Die Herbeischaffung der Original-Exponate wurde von der Lottostiftung Nordrhein-Westfalen finanziert. Sie stammen aus Berlin, Paris, Wien, Jerusalem und St. Petersburg: Handschriften, Landkarten, Schmuck, Stoffe, Keramik, Glas, Waffen und Devotionalien aus den Jahren um 800. Im Krönungssaal sind sie den Schaubereichen Palast, Basar und Alltagsleben in Bagdad zugeordnet. In der Dom-Schatzkammer und im Kreuzgang geht es vornehmlich um die heiligen drei Schriften und die Bedeutung von Jerusalem für die drei Buchreligionen. Im Dom schließlich wird das Karolingerreich thematisiert – bis hin zu den elfenbeinernen Überresten von Abul Abbas, dem Elefanten.

Die dazwischen platzierten Arbeiten zeitgenössischer Künstler wurden aus dem Topf der Kulturstiftung des Landes bezahlt. Da dieses Geld jedoch nicht pünktlich kam, bat Dreßen die Künstler inständig, „einfach schon mal anzufangen“. Ein weiterer Sponsor, der bereits die Aachener „Krönungsausstellung“ 2000 großzügig finanziert hatte, die Arzneimittelfirma Grünthal (Contergan), wollte mit der „Ex Oriente“ nichts zu tun haben – und konzentrierte sich stattdessen auf eine Art Gegenprojekt: „Der Aachener Dom – das Erbe des Abendlandes“. Während man in Berlin gegen Betonwände läuft, stößt man beim gediegenen, aber über die Jahrhunderte flexibel gewordenen Aachener Bürgertum laufend auf Gummiwände, meint Wolfgang Dreßen, der auf Ausstellungserfahrungen in beiden Städten zurückgreifen kann, wobei „derzeit in Aachen noch das Entsetzen überwiegt, aber es hat ja geklappt“. Im Gegensatz etwa zu seiner „Aktion-3-Ausstellung“ – über die Enteignung jüdischen Vermögens, die in Berlin von der Humboldt-Universität kurzerhand verboten worden war. Nun hat er Teile davon in die Aachener Ausstellung eingearbeitet, und zwar die Dokumente, die Enteignungen von Aachener Juden betreffen. Gleich daneben im Dom hat der Berliner Künstler Lutz Dambeck eine Hütte im Maßstab 1:1 aufgebaut, wie sie der Radikalökologe Theodore Kaczinsky im Wald von Idaho besaß, wo er als so genannter Una-Bomber seine Briefattentate vorbereitete. Ist dies ein Beitrag über die Kehrseite der Toleranz: den Terrorismus?

Etliche andere zeitgenössische Beiträge mussten dafür gestrichen oder zumindest so unglücklich platziert werden, dass man sie nun leicht übersehen kann. Im Rathaustreppenaufgang zum Krönungssaal hängen die Porträtfotos der bisherigen Träger des „Karlspreises“ (Kissinger, Reagan, Lübke), dazwischen wollte die Hamburger Fotografin Karin Plessing Porträts von ganz normalen Menschen aus der christlichen, jüdischen und muslimischen Kultur hängen, aber das war, wie auch so manches andere in diesen den Rheinländern quasi heiligen Räumen, „technisch nicht möglich“. Erwähnt sei ferner die multimediale Installation des in der Schweiz lebenden irakischen Regisseurs Samir („Forget Bagdad“), die den Ausstellungstechnikern im Krönungssaal zu umfangreich dünkte und deswegen in einen Ratsherrensaal abgeschoben wurde. Ihr Titel lautet „White Elephant on a Flying Carpet“ und thematisiert unter anderem die letzten Kriegsbilder aus dem Irak sowie die Plünderungen der Museen von Bagdad. Ein Begleitprogramm zur gesamten Ausstellung, das ebenfalls Bögen zur aktuellen Situation schlagen sollte, wurde dagegen aus Geldmangel gestrichen. Und gleich bei der ersten Dialog-Veranstaltung kamen die vom Bischof eingeladenen Diskutanten, Moshe Zimmermann und Julius Schoeps, dem Domherren derart aktuell, dass er von weiteren derartigen ökumenischen Experimenten Abstand nahm. Unter anderem hatten seine jüdischen Gäste die Enteignungen der Palästinenser in Israel angesprochen. Wolfgang Dreßen meint: Die Kirchenleute waren sehr mutig – sie wollten aber partout nicht in der Gegenwart ankommen, wo nach dem 11. 9. zum ersten Mal nach 1945 zum Beispiel alle Daten von muslimischen Studenten in Deutschland überprüft wurden. Und, so darf man vielleicht hinzufügen, wo die Mehrzahl der Massenmedien sich freiwillig in den Dienst des Transatlantikpakts gegen Bagdad gestellt hat. In der Ausstellung findet man dazu eine Computeranimation der Geopolitik des Ölgeschäfts.

Bis 28. September. Die drei Kataloge „Bagdad, Jerusalem, Aachen“ und der Ausstellungsführer kosten zusammen 56 Euro.