Industrie verstolpert die Lkw-Maut

Stolpe sieht Chancen bei 50 Prozent. Grüner Verkehrsexperte rechnet mit Einführung erst im nächsten Jahr. Offenbar trägtdas Betreiberkonsortium Toll Collect die Schuld an der weiteren Verzögerung der Lkw-Maut. Union fordert Stolpes Rücktritt

von MATTHIAS BRAUN

Will einer darauf einstimmen, dass es um eine Sache verdammt schlecht steht, sagt er, die Chancen stünden halbe-halbe. Genau dies hat Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe gestern getan: Die Chancen, dass die von Rot-Grün geplante Lkw-Maut zum 2. November eingeführt werden könne, stünden fünfzig-fünfzig, sagte er. Sollte Stolpes finstere Ahnung sich bewahrheiten, verschöbe sich der Termin nun zum zweiten Mal. Am kommenden Freitag sollte das Mautsystem eigentlich in den Probebetrieb gehen, um ab November zum Alltag auf bundesdeutschen Autobahnen zu gehören.

Deutlichere Worte als Stolpe fand gestern der verkehrspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion. „Ich persönlich rechne nicht mehr damit, dass die Maut zum 2. November eingeführt wird“, sagte Albert Schmidt zur taz. Man müsse sich auf eine weitere Verschiebung einstellen. Schmidt rechnet damit, dass die Regierung ihre Mautpläne erst Anfang nächsten Jahres umsetzen kann.

Die Einführung verzögere sich, weil die beteiligten Industrieunternehmen keine störungsfreie Technik liefern könnten, sagte Schmidt. Zwar seien Erfassungs- und Kontrollsystem inzwischen technisch so weit ausgereift, dass der Probebetrieb beginnen könne. Aber das Abrechnungssystem arbeite mangelhaft. Damit steht für Schmidt auch der Schuldige fest. „Die Industrie hat ihren eigenen Termin nicht eingehalten“, sagte er.

Schmidts Argumentation wird von einem Bericht in der aktuellen Focus-Ausgabe gestützt. Das Magazin hatte gestern Passagen aus einem Brief des Kölner Bundesamtes für Güterverkehr (BAG) an das Stolpe-Ministerium veröffentlicht. „Im Hinblick auf den Reifegrad des Systems stellt das Bundesamt fest, dass ein Wirkbetrieb zum 2. November nicht realisiert werden kann“, schreibt die Behörde, die für die Betriebserlaubnis des Mautsystems zuständig ist. Der derzeitige Stand des Projekts lasse keine Aussage darüber zu, wann der echte Betrieb der Gebührenerhebung beginnen könne, zitiert der Focus weiter.

Ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums bestätigte gestern, dass das BAG in Sachen Maut an sein Ministerium geschrieben habe. Und er dementierte die im Focus veröffentlichten Passagen nicht. Stattdessen sagte er zur taz: „Wir erwarten für Anfang der Woche eine Stellungsnahme von Toll Collect.“ Sobald das Maut-Konsortium aus Telekom, DaimlerChrysler und dem französischen Konzern Cofiroute sich äußere, werde man über Termine reden können.

Das offensichtlich von der Industrie verursachte Mautchaos nutzten die Oppositionsparteien im Bundestag gestern, um gegen Manfred Stolpe zu wettern. Der verkehrspolitische Sprecher der Unionsfraktionen, Dirk Fischer, sagte, ein Rücktritt Stolpes sei unverzichtbar. Der Minister sei überfordert. Nicht Stolpes Kopf aber Kompetenzentzug forderte dagegen Guido Westerwelle. Der Kanzler solle die Maut zur Chefsache erklären. „Wenn ein Minister hunderte von Millionen verschwendet, dann ist es an der Zeit, dass der Kanzler handelt“, sagte Westerwelle. Der Grüne Albert Schmidt hingegen verteidigte Stolpe. Dieser habe den Vertrag, den er jetzt umsetzen müsse, weder ausgehandelt noch unterzeichnet. Das seien seine Vorgänger gewesen.

Schmidt aber forderte von Stolpe, sich von Toll Collect die Verzögerung bezahlen zu lassen. „Der Minister muss dem Konsortium die Haftungsfrage vorlegen“, sagte er zur taz. Rund 160 Millionen Euro gehen dem Steuerzahler in jedem Monat verloren, um den sich die Maut verzögert. Im Verkehrsministerium hieß es zum Thema Haftung lapidar: „Wir haben handfeste Rechte.“ Seit nunmehr zwei Jahren versucht Rot-Grün eine Lkw-Maut einzuführen. Im Sommer 2001 hatte das Kabinett Schröder einen entsprechenden Gesetzentwurf beschlossen. Im Frühjahr 2002 passierte das Gesetz den Bundesrat.