Mit der Extraportion Message

Der US-Hersteller „American Apparel“ produziert seine T-Shirts weder in Billiglohnländern noch in einheimischen Sweatshops: Die NäherInnen arbeiten in einer komfortablen, pinkfarbenen Fabrik. Die faire Produktionsweise ist zentrale Marketingstrategie: „Fuck the brands that are fucking the people“

VON JUDITH HYAMS

Kann ein T-Shirt politisch korrekt, ein Tank-Top ethisch wertvoll sein, und kann ein rosa Baumwollslip gutes Gewissen verheißen? Durchaus, immer dann nämlich, wenn sie alternativ zum brutal-globalen Textilmarkt und nicht auf Kosten ausgebeuteter NäherInnen hergestellt werden. Aber politisch korrekt reicht meistens nicht, schließlich wollen die meisten Konsumenten stylische Qualität, die nicht unter irgendeinem Ökolabel fungiert. Der Kanadier Dov Charney hat dies richtig erkannt, er ist Gründer und Chef von „American Apparel“, des größten amerikanischen T-Shirt-Herstellers, der nicht nur in den USA beheimatet ist, sondern tatsächlich auch dort produziert.

Charney wirkt wie eine Kreuzung aus narzisstischem Stadtneurotiker und großspurigem Califonia-Dreamboy. Seit einiger Zeit geistert er als unternehmerischer Paradiesvogel durch amerikanische Medien und vermarktet dabei sich selbst und seine Idee hemmungslos. Als eine der wichtigsten amerikanischen Fernsehsendungen, „60 Minutes“, ihn vor zwei Jahren nicht einlud, kommentierte er dies mit den Worten: „Wenn 60 Minutes keine Story über mich bringen will, ist das ihr Problem, nicht meines. Ich ändere die Welt, sie berichten nur darüber.“ Dass er die Welt ändern wird, ist zu bezweifeln, trotzdem ist seine Geschäftsidee ebenso einfach wie durchschlagend, und tatsächlich dürfte sein Konzept die herschenden Marktgewohnheiten zumindest durcheinander bringen.

Fast alle amerikanischen Textilfirmen betreiben Outsourcing, sie profitieren von in Entwicklungsländer ausgelagerten Produktionsstätten. Aber auch im eigenen Land herrschen in den so genannten „Sweatshops“ sklavenartige Verhältnisse: Meist illegale Einwanderer liefern dort Höchstleistungen für Minimallöhne. Im Vergleich funktioniert American Apparel wie eine moderne, saubere Manufaktur. Von der ersten Designidee bis zum Vernähen des Etiketts entstehen die T-Shirts in einem pinkfarbenen Fabrikgebäude in Los Angeles. Im Fachjargon nennt sich das „vertikale Produktion“ und bietet handfeste Vorteile: Die Qualität lässt sich so besser kontrollieren, gleichzeitig ist der Reaktionsweg bei kurzfristigen Bestellungen schneller.

Obwohl auch hier im Akkord gearbeitet wird, tummeln sich vor den Fabriktoren die Bewerber, um ihre Unterlagen abzugeben. 12,50 bis 18 Dollar verdienen die Arbeiter, mehr also als das kalifornische Mindestgehalt von 6,75 Dollar und viel mehr als die von der Organisation Sweatshop Watch errechneten 24 Cent, die ein indonesischer Arbeiter bekommt. Dazu gibt es eine Krankenversicherung, kostenlose Englischkurse für die vielen Latinos und Fahrräder nebst Wartung. Langhaarige Masseure lockern verspannte Nacken und müde Arme der NäherInnen, und immer wieder tänzelt Charney selbst durch die Gänge, oftmals fröhlich brüllend wie ein Cheerleader. Die hübscheren der Näherinnen modeln nebenher für den Katalog, seit den Anfangstagen von American Apparel vor sechs Jahren, als Charney seine T-Shirts in den nahe gelegenen Stripperclub trug und dort kurzfristig die Modelle zu Models umfunktionierte, bleibt auch dieser Teil der Produktion hausgemacht.

Auch wenn jedes einzelne T-Shirt als „Sweatshop-free“ ausgewiesen ist und Charney in jedem Gespräch vom guten Betriebsklima schwärmt, ist er keineswegs von Altruismus getrieben. Er weiß, nur zufriedene Arbeiter sind gute Arbeiter. Und als selbst ernannter „Hyper-Kapitalist“ will er vor allem eines: Geld verdienen. Und das funktioniert, 83 Millionen Dollar Jahresumsatz machte das Unternehmen im letzten Jahr, mittlerweile ist es drittgrößter T-Shirt-Hersteller der USA, nach „Fruit of the Loom“ und „Hanes“. American Apparel ist vor allem erfolgreich duch seine bewusst zweigleisige Vermarktung. Ein Slogan wie „Fuck the brands that are fucking the people“ vermarktet agressiv die eigene faire Produktion, andere Kampagnen dagegen setzen auf Trend, Qualität und sauberen Sex. Der doppelte Werbefeldzug funktioniert, sagt Charney: „Linke sehen in uns eine Firma, die ihre Arbeiter gut behandelt. Künstler sehen unser gutes Design. Republikanische Bush-Anhänger sehen darin ‚Made in the USA‘, so kann dem jeder etwas abgewinnen.“

Tatsächlich sind inzwischen viele amerikanische Konsumenten sensibilisiert für ausbeuterische Herstellungsweisen, vor allem aber haben sie keine Lust mehr auf Schlabber-Look: Längst ist das T-Shirt zur amerikanischen und damit auch globalen Uniform geworden, zum „American Tribalism“, wie Charney es nennt. Aber da selbst Uniformen sich der Mode anpassen (wenngleich schwerfällig, wie das Beispiel der deutschen Polizei beweist), hat auch das T-Shirt sich weiterentwickelt und einen beträchtlichen Fortschritt vom kratzigen Billigprodukt der Achtziger zur heutigen, anschmiegsamen Variante durchlaufen. Längst nicht mehr labbern die Ärmel bis über den Ellenbogen, sondern entblößen zeitgemäß trainierte Trizepse, der Kragen würgt nicht mehr kurz unterm Adamsapfel und die Farbpalette geht mittlerweile über Weiß, Anthrazit und Hellgrau weit hinaus. Trotzdem ist das T-Shirt, einst zur Familie der Unterwäsche gehörend, immer unkompliziert und unprätentiös, seine Sexiness kulminiert in kaum noch verruchter Nabelschau.

So ist das T-Shirt ein ebenso massenkompatibles wie eigentlich auch nichtssagendes Kleidungsstück, irgendwo zwischen archaischem Feinripp-Unterhemd und zugeknöpftem Oberhemd angesiedelt. Auch wenn die Hersteller eine Unmenge an Modellen mit leicht unterschiedlichen Details auf den Markt werfen, bleibt es im Grunde immer gleich. Kein Wunder, dass das T-Shirt eine ideale Präsentations- und Projektionsfläche bietet, die jeglicher Gesinnung Platz schafft. Auf unkomplizierte Weise kann man so politische Einstellungen, musikalische Vorlieben oder sexuelle Präferenzen behaupten, ohne sie unbedingt zu inkarnieren. Che Guevara sein ist komplizierter als Che Guevara tragen.

Ob das bedruckte T-Shirt eine bestimmte Gruppe („Abi 92, Mönchengladbach“), oder eine unbestimmte Anhängerschaft („Hard Rock Café“) definiert, seinen Träger als Anhänger gefälschter Designerprodukte entlarvt („Gucci“), oder ihn der Ironie befähigen soll (“Jägermeister“) – verbindend ist immer der Wille, die Uniformität der Klamotte wenigstens durch eine Extraportion Message aufzulockern.

Sich nicht nur anzuziehen, sondern die Kleidung als Indizienträger bestimmter Haltungen einzusetzen, ist keinesfalls neu. Schon seit Jahrhunderten manifestieren sich Klassen-, Religions - und Geschlechterzugehörigkeit durch das Outfit. Den gesellschaftlichen Code einer Tracht hat demnach das T-Shirt übernommen, mit dem kleinen Unterschied, dass der Träger nicht unbedingt den realen Zustand wahrheitsgemäß wiedergibt, sondern gern auch Behauptetes bis Unwahres kundtut („I’m so sexy“). Nur selten sorgt ein bedrucktes T-Shirt noch für Aufsehen, wie bei dem peinlichen Zwischenfall vor vier Jahren, als der Bekleidungshersteller C&A Kinder-T-Shirts mit einer aufgedruckten Internetadresse auslieferte, die sich später als Zugang zu einer Hardcore-Pornoseite entpuppte.

Dov Charney jedoch braucht keine vorgedruckten Sinn-Botschaften, die Message ist die politisch korrekte Herstellungsweise seiner T-Shirts. American Apparel produziert ausschließlich Blanko-Shirts, neunzig Prozent von ihnen gehen an Zweitabnehmer, die ihrerseits die Shirts bedrucken, etwa Designer, Universitäten, Firmen, oder die New Yorker Polizei. Der anderen, erfolgreicheren Variante bedienen sich Firmen wie „The Gap“ oder „Nike“, die nur an den Einzelhandel liefern, Firmen also, die voll auf die Anziehungskraft ihrer Marken setzen.

American Apparel steht irgendwo dazwischen. „Branding is over“, behauptet Charney, trotzdem oder gerade deswegen will er den Einzelhandel erobern, um seine Shirts als Qualitätsprodukt – und weniger als Markenprodukt zu verkaufen. In Los Angeles, New York und Charneys Heimatstadt Montreal existieren bereits Läden, seit Mai gibt es eine Filiale in Frankfurt am Main, eine weitere eröffnete letzten Samstag in Berlin. Die Läden ähneln der Ware, sie sind luftig, freundlich, modern – und sehr unaufgeregt. Gleich am Eingang hängen in den meisten Geschäften Plakate mit der Firmenphilosophie, die indirekt erklärt, dass bei American Apparel die ganze Produktion, nicht unbedingt aber das Produkt selbst aufregend ist. Allerdings ist es gar nicht nötig, dass die Shirts vom Mainstream abweichen: T-Shirts werden sich immer gut verkaufen, schließlich hat die Modezeitschrift Elle schon vor dreißig Jahren erkannt, dass „das T-Shirt niemals aus der Mode kommt, weil es nie etwas mit Mode zu tun hatte“.