Professionelle Dilettanten

Angeblich sucht RTL den Superstar, präsentiert aber nur Laienschauspieler und Selbstüberschätzer. Singen können die zwar nicht, sind aber um Professionalität bemüht – ganz anders als die Jury

„Wir ham dir ja gesacht, du bist nicht schlecht – du bist grottenschlecht“

von HEIKO DILK

Das Rollschuhmädchen musste auf Drogen sein. Eine Kombination aus Ecstasy und Koks wahrscheinlich. So schien es zumindest. Und möglicherweise stimmt es sogar. Allerdings war das auf jeden Fall nicht der einzige Grund für ihren sonderbaren Auftritt.

Das Rollschuhmädchen war beim Casting von „Deutschland sucht den Superstar“ – und es war beeindruckend. Es trug zu den Rollschuhen eine fluffige blaue Kunstfelljacke, die oberhalb der Nieren endete und ein Minikleid aus T-Shirt-Stoff. Außerdem hatte es die Haare zu seltsamen Zöpfen geflochten. Dazu verbarg es die Hälfte des Gesichts hinter einer dieser viel zu großen blauen Sonnenbrillen. Das Rollschuhmädchen sang fürchterlich. Eine Zeile lautete „Lick my pussy“, und dazu wurden Bewegungen ausgeführt wie aus dem DSF-Nachtprogramm.

„Tschello“, so nannte sich das Rollschuhmädchen, war natürlich nicht echt. Jurorin Schona Frasier hatte es geahnt, und als „Tschello“ fertig war, sagte sie, dass die Jury sich schon lange gefragt hätte, wann wohl irgendein Komiker beim Casting auftauchen würde, um sie zu verarschen. Nun, es war so weit.

Was das Rollschuhmädchen nicht bedacht hatte, war, dass es unmöglich ist, RTL, die Sendung „Deutschland sucht den Superstar“ oder deren Jury zu veralbern. Wer es versucht, wird vereinnahmt. Also tauchte das Rollschuhmädchen eine Woche nach der Casting-Show bei „Explosiv – Das Magazin“ auf. Dort konnte man dann erfahren, dass „Tschello“ im wahren Leben Schaufensterdekorateurin ist und eigentlich gar nicht nach „lick my pussy“ aussieht. Der Auftritt war von ihr und ihrem Freund geplant, selbst das Kunstfelljäckchen war mit Bedacht gewählt, abgeschaut bei einem anderen Casting-Show-Produkt: Hila von der „Popstars“-Band „Bro’Sis“.

„Tschello“ war allerdings nicht die Einzige, für deren Auftritt „authentisch“ nicht die richtige Umschreibung war. Es gab noch andere schlechte SängerInnen, die hauptsächlich durch eine dramatische Inszenierung bestachen.

Ein Kandidat stürmte, nachdem er bereits vernichtende Kritik von Dieter Bohlen einstecken musste, erneut den Casting-Raum. „Denen werde ich es zeigen“, sagte er, und Bohlen sagte: „Wir ham dir ja gesacht, du bist nicht schlecht – du bist grottenschlecht.“ Ein anderer junger Mann ohne Stimme sagte, er habe so sehr gehofft, ins Fernsehen zu kommen, „aber jetzt ist es zu spät“. Es war natürlich nicht zu spät. Im Gegenteil – er befand sich ja bereits im Fernsehen. Und möglicherweise wollte er gar nicht mehr.

So stellt sich nach vielen Casting-Shows die Professionalisierung der Teilnehmer ein, die auch bei „Big Brother“ zu beobachten war. Schon in der zweiten Staffel zog eine Laienschauspielschar in den Container, die sich mehr oder minder gekonnt in Szene setzte.

So ähnlich sieht es jetzt auch bei „DSDS“ aus. Im direkten Gegensatz zur unprofessionell inszenierten Professionalität der Kandidaten steht allerdings die Jury. Hier gehört professionell inszenierte Unprofessionalität zum Konzept. Also muss Bohlen beleidigende Bonmots im Akkord produzieren. Keine einfache Aufgabe. Deshalb muss man den Dieter aber nicht bedauern, den Maßstab dafür hat er in der ersten Staffel selbst gesetzt.

Bei RTL meint man aber offenbar, dass die Beleidigung der Teilnehmer – „Wenn ich auf nen Windbeutel hinten draufdrück, kommt auch nicht mehr raus“ (Bohlen natürlich) – schon einen Beweis für die Authentizität der Sendung liefert, „denn nur Kandidaten, die authentisch auftreten und eine wirklich gute Stimme präsentieren, bekommen auch den Segen der Jury“.

Das Rollschuhmädchen bezeichnet RTL denn auch als „Beispiel, das zeigt, wie man es nicht machen sollte, will man wirklich ernsthaft weiterkommen bei ‚DSDS‘ “. Das ist natürlich nur bedingt glaubwürdig, und jetzt, da die Castings gelaufen sind, kann man das leicht behaupten. Auswirkungen auf die aktuelle Casting-Staffeln sind ja nicht mehr zu befürchten. Doch Auftritte wie die von „Tschello“ dienen in erster Linie der Belustigung der Zuschauer: „Das Publikum fühlt sich durch diese Kandidaten sehr gut unterhalten, wie die Quoten beweisen“, heißt es aus der Presseabteilung.

Und mehr will man bei der Casting-Show, die noch heute und nächste Woche läuft (jeweils 20.15 Uhr), bevor es in den Recall geht, auch gar nicht. Deshalb wird zunächst beleidigt und geweint – die Superstarsuche kommt später. Dass das mit einem professionellen Casting nichts zu tun hat, ist sicherlich keine neue Erkenntnis; dass Unprofessionalität jedoch seitens der Jury kultiviert wird, ist dann doch ein wenig hart.

Für die Casting-Teilnehmer bleibt die Erkenntnis, dass das System „DSDS“ nicht zu überlisten ist. Zwar bekommen die Schrägsten und Schlechtesten ihren Auftritt, aber der Versuch, sich ein eigenes Image zu basteln und damit beim Casting zu erscheinen, ist zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. Immerhin können sie sich zugute halten, dass sie die Mechanismen im Grundsatz verstanden haben.

Für die Produktion eines Images ist aber die Industrie zuständig: RTL und die Bertelsmann Music Group. Aber später. Jetzt werden erst mal Kandidaten veralbert.