CSU macht Straßensperre gegen rechts

Im fränkischen Wunsiedel waren Neonazis aus ganz Europa wieder zum Rudolf-Heß-Gedenkmarsch unterwegs. Diesmal demonstrierte neben dem Bündnis für Demokratie und Toleranz auch der CSU-Bürgermeister gegen die Rechten

AUS WUNSIEDEL HEIKE KLEFFNER
UND CHRISTIANE JENDRAL

Am frühen Samstagmorgen scheint es so, als sei die fränkische Kleinstadt Wunsiedel wie jedes Jahr zum „Rudolf-Heß-Gedenkmarsch“ fest in der Hand von Neonazis.

Sie sitzen im Garten der „Sechs-Ämterland-Klause“ und stimmen sich mit Bier und Bratwurst auf den Beginn des europaweit größten Neonazi-Schaulaufens ein. Schwarz vermummte Neonazis greifen auf dem Marktplatz autonome Antifaschisten an. Am Stadtrand räumt die Polizei die Güllewagen weg, die Bauern aufgefahren hatten, um den Sammelpunkt der Neonazis zu blockieren. Inmitten von rechten Familienclans, wo Kleinkinder und Großeltern Buttons mit dem Konterfei des NS-Kriegsverbrechers Heß tragen, steht Matthias Popp, stellvertretender Bürgermeister der 10.000-Einwohner-Stadt, und sagt: „Wir werden es den Neonazis in diesem Jahr so unbequem wie möglich machen.“

Mittags bekräftigt dies CSU-Bürgermeister Karl-Willi Beck, unterstützt vom „Bündnis für Demokratie und Toleranz“. „Wegschauen ist der Nährboden des Nationalsozialismus“, sagt Beck. Und weil der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den Heß-Marsch gegen den Willen des Bürgermeisters erneut erlaubt hat, sitzt Beck drei Stunden später mit seinem Stellvertreter, rund 20 Stadträten und über 100 Wunsiedlern auf der Straße. Beck und sein Stellvertreter halten ein Transparent: „Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht“ steht darauf.

Das rufen sie auch, als die Polizei aufzieht, und dahinter die Neonazis. Rund viertausend sind es in diesem Jahr: der NPD-Parteivorstand, der „Reichsbürger“ Horst Mahler ebenso wie die Freien Kameradschaften aus ganz Deutschland und Naziskinheads aus der Schweiz, Kroatien, Spanien, Skandinavien und Großbritannien. Vorneweg Jürgen Rieger, Anwalt und Anmelder des Aufmarschs. Drei Jahre lang sei man in Wunsiedel mit viel Sympathiebekundungen aufgenommen worden, warben Neonazis im Vorfeld. Mit Straßenblockaden durch CSU-Bürgermeister hat niemand gerechnet. Weder die internationalen Fernsehteams noch die Rechten. Deshalb stürmt Rieger zur Einsatzleitung der Polizei und droht: Wenn die Beamten nicht in der Lage seien, die „Straftat zu beenden“, dann würden seine Leute die Straße eben selber räumen. Derweil rufen Bürgermeister und Bürger: „Rieger Raus! Nazis Raus!“. Als die Blockierer nach der zweiten Aufforderung der Polizei die Straße räumen, ziehen 4.000 Neonazis triumphierend am Bürgermeister vorbei: Mittendurch zwischen rund 500 wütenden Bürgern auf der einen Seite der Straße und lauter Punkmusik von 300 Autonomen auf der anderen Straßenseite. Von oben regnet es Konfetti auf Glatzköpfe.

Am Straßenrand sagt ein erschöpfter Bürgermeister: „Es gab viele Bürger, die mir gesagt haben, dass wir das Richtige tun.“ Michael ist stolz auf den Bürgermeister; seine Freunde von der „Jugendinitiative gegen Rechtsextremismus“ haben die Transparente gemalt, „Nazis sind Narren“, die über die Hauptstraße gespannt sind, auf der die Neonazis marschieren. Ein Polizeihauptmeister sagt offen: „Wenn ich Bürgermeister von Wunsiedel wäre, würde ich mich auch auf die Straße setzen.“ Dass Wunsiedel Flagge zeigt gegen rechts gefällt nicht allen: „Wenn der Bürgermeister nicht auf der Straße sitzen würde, hätten wir längst wieder unsere Ruhe“, kritisiert ein 67-jähriger Landwirt. Die Bilanz am Ende des Tages: Ein zufriedener Bürgermeister, der auf die Änderung des Versammlungsrechts hofft und so lange nicht locker lassen will – und über 100 Festnahmen.