archiv, u-bahn etc.
: Ein Slum für Köln

Alle reden sie in Köln gerade vom spektakulären Einsturz des Historischen Stadtarchivs, durch den der seit Jahren umstrittene U-Bahn-Bau wieder neu und hoffentlich massiver denn je in die Kritik gerät. Der 4. März, so stand es im Express zu lesen, sei schon jetzt „ein Elfter September“ für die Domstadt. Und da konnte dann auch Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) plötzlich nicht anders, als öffentlich darüber nachzudenken, ob der Preis für das milliardenteure Prestigeprojekt U-Bahn, das Köln mondänes Flair verleihen sollte, nicht vielleicht doch viel zu hoch ist.

Denn tatsächlich stehen keineswegs nur Gebäude der Alt- und Südstadt in Gefahr, unter Bauschutt begraben zu werden. Wo sich die Tunnelbohrmaschinen „Tosca“ und „Rosa“ durchs 18 Meter tiefe Gelände fräsen, droht auch die Lebensqualität unter die Räder zu kommen. Erderschütterungen, Lärm, Schmutz und Verkehrschaos verwandelt Kölns traditionsreichste Flaniermeile, die Süd- und Altstadt in einen Elendsbezirk, der aussieht, als habe gerade ein Krieg stattgefunden. Statt stolz herausgeputzter Geschäfte und Kneipen sieht man entlang der berühmten Severinstraße mittlerweile fast nur noch Ein-Euro-Shops, Billigfrisöre, Dönerbuden und Dixi-Klos. Außerdem: regelmäßige Stromausfälle oder gekappte Wasserleitungen, weil mal wieder was schiefgelaufen ist bei Tosca und Rosa. Als 2005 die in jedem Stadtführer verzeichnete Karnevalskneipe Schmitze Lang schloss, weil (wie bei so vielen Südstadt-Händlern) wegen Bauschutt und Dauerkrach die Kunden wegblieben, las man zum ersten Mal in der Lokalpresse etwas von einer „Katastrophe“ in Bezug auf das U-Bahn-Projekt.

Ein Nachbar, vor ein paar Jahren aus New York hergezogen, meint: „Wer es hier in der Südstadt schafft, schafft es in jedem Slum der Welt!“ Das ist (neben einer Milliarde Euro) der bittere Tribut für ein paar Minuten Bahnfahrt zum Dom, falls die U-Bahn wirklich fertig wird. GISA FUNCK