Prinzip der Addition

Der große Architekt Frank Lloyd Wright steht im Mittelpunkt des neuen Faction-Romans von T. C. Boyle. „Die Frauen“ ist etwas zu faktenreich

VON FRANK SCHÄFER

Als Frank Lloyd Wright wieder einmal vor Gericht stand – vermutlich weil einer seiner vielen Gläubiger dann doch Geld sehen wollte, Genie hin, Genie her – und der ehrenwerte Vorsitzende ihn nach seinem Beruf fragte, soll er wahrheitsgemäß geantwortet haben, er sei Architekt, der größte Architekt der Welt. „ ‚Der größte?‘, fragte der Richter. ‚Wie können Sie das behaupten?‘ … ‚Nun, Euer Ehren, ich stehe schließlich unter Eid.‘ “

Gleichgültig, ob diese Anekdote wahr ist oder ob T. C. Boyle sie sich nur ausgedacht hat, im Rahmen seines neuen, großen Faction-Romans „Die Frauen“ stimmt sie allemal. Boyle zeichnet Wright als selbstbewussten, von seiner Begabung mehr als überzeugten Künstlertyp, dessen Hybris die Götter herausfordert. Zweimal brennt denn auch Wrights geliebter Landsitz Taliesin bis auf die Grundmauern ab; beim ersten Mal meuchelt auch noch ein durchgeknallter schwarzer Butler während Wrights Abwesenheit beinahe die gesamte Hausgemeinschaft nieder, seine Geliebte, deren Kinder, die Mitarbeiter. Im stockkonservativen Wisconsin ist das ein Gottesurteil. Aber Wright holt den Rechen, hakt die Asche zusammen und baut Taliesin wieder auf.

Damit hört der Roman auf. Auf den 550 Seiten davor hat Boyle Wrights Leben aus der Perspektive der drei Frauen porträtiert, die dafür sorgten, dass dieser eher konservative, treu sorgende Ehemann und Familienvater ausbrechen und zu dem gesellschaftlichen Nonkonformisten mutieren konnte, der auf die bigotte Moral des frühen 20. Jahrhunderts pfiff. Und diese drei erotischen Schwärmerinnen und lebensphilosophischen Freigeister – die Frühemanze Mamah Borthwick, die überfeinerte, neurasthenische Bildhauerin Maude Miriam Noel und Olgivanna Lazovich, eine montenegrinische Emigrantin, die zum Führungspersonal eines sektenähnlichen „Instituts zur harmonischen Entwicklung der Menschheit“ gehörte – hatten vermutlich auch maßgeblichen Einfluss auf seine Metamorphose vom „größten lebenden Architekten des 19. Jahrhunderts“ zum innovativen Vertreter der Moderne. Aber mit solchen Spekulationen hält Boyle sich zurück, wie man über Wrights Kunst bei ihm ohnehin wenig erfährt.

Boyle hält sich an das Leben, die zweite Hälfte dieser Biografie – und er bietet einiges an artistischer Anstrengung auf, um aus dieser biografischen Variation einen richtigen Roman zu machen. Er kehrt die Chronologie um und schafft so eine Kreisstruktur, das Ende des Romans mündet gewissermaßen in den Anfang. Die genannten drei „seelenverwandten“ Frauen strukturieren den Roman in drei Großkapiteln. Und Boyle fingiert gleich zwei Erzähler: Tadashi Sato, den japanischen Eleven Wrights aus dessen Taliesin Fellowship, einer Art Jüngerschaft von postgraduierten Architekturstudenten, die Wright für sich arbeiten lässt und denen er dafür auch noch Geld abknöpft, und seinen „Koautor und Übersetzer Seamus O’Flaherty“, dessen Arbeit Tadashi dann immer wieder mit Fußnoten berichtigt, kommentiert, erweitert. Ein ganz hübscher Trick von Boyle, um nach Art des klassischen humoristischen Romans ironische Brechungen und poetologische Metakommentare anzubringen.

Er nutzt dieses Verfahren aber allzu häufig nur, um noch weiteres biografisches Material anzubauen. „Addition“, heißt es einmal, sei Wrights Strukturprinzip – und genau das ist das Problem des Romans. Er ist streckenweise schlicht langweilig, weil Boyle zu oft in die Rolle des positivistischen Faktenhubers wechselt, offenbar weil er sich zu sehr beschränken lässt von den abzuarbeitenden Daten und Fakten.

Vor allem Miriam, die überspannte, affektierte Morphinistin, die von Wright irgendwann abserviert wird und dann ihr restliches Leben danach einrichtet, Wright zu schaden, bekommt zu viel Raum, nicht zuletzt um ihre Borniertheit und pathologisch überreizte Gemütsverfassung auszubreiten. Bei der x-ten Litanei über die „Vampire“ der Boulevardpresse, über die Unbotmäßigkeit der Lakaien und die Illoyalität der Männer wird die grelle Karikatur ermüdend.

Es ist nachvollziehbar, dass sich Boyle so ausgiebig der erlebten Rede widmet. Hier kann er seine produktive Fantasie auf die realen Figuren anwenden. Denn was sie getan haben, mag bekannt sein, was sie dabei gedacht haben, eher nicht. Jetzt weiß man auch das alles. Beinahe jede emotionale Disposition wird von den Protagonisten selbst brav registriert und dem Leser brühwarm mitgeteilt. „Vorsprecherei der Empfindungen“ hat das Jean Paul in seiner „Vorschule der Ästhetik“ genannt und als Merkmal des Dilettanten gebrandmarkt. So weit muss man ja nicht gehen.

Boyle hat immer schon mit Kolportageelementen gespielt, mit unterschiedlichem Erfolg. Bei seinem Großporträt des Cornflakes-Erfinders Kellogg, „Willkommen in Wellville“, dem Öko-Science-Fiction „Ein Freund der Erde“ und zuletzt bei der wundervollen Hippie-Hommage „Drop City“ hat das geklappt. Hier kommt er nicht richtig aus dem Knick.

T. C. Boyle: „Die Frauen“. Aus dem Amerikanischen von Kathrin Razum und Dirk van Gunsteren. Hanser Verlag, München 2009, 560 Seiten, 24,90 Euro