Mann oder Memme

VON BARBARA DRIBBUSCH

„Gibt es ‚weibliche Sexistinnen?‘ Ja: Alice Schwarzer.“ Auf diesem Niveau bewegen sich Debatten um „weiblichen Sexismus“ im Internet, vornehmlich auf Seiten ohne Impressum und Namen. Weiblicher Sexismus und Männer als Opfer – darüber gibt es kaum fundierte Diskussionen. Offenbar kommen nicht nur Feministinnen mit einfachen Täter-Opfer-Bildern nicht weiter, bei Männern wirkt die schlichte Umkehr noch weniger überzeugend. Die Geschlechterforschung untersucht deshalb zunehmend, wie Geschlechterkonstruktionen und Rollenbilder Männer und Frauen einengen und behindern können.

Wenn man diese Geschlechterkonstruktionen ansieht, kann man, so meint der Freiburger Männerforscher Hans-Joachim Lenz, durchaus auch von „Sexismus“ gegenüber Männern sprechen. Die Debatten um Gleichbehandlungen basierten „auf einem hegemonialen Männlichkeitsbild“, sagt Lenz, „es geht um den dominanten Mann in Spitzenpositionen. Die Mehrheit der Männer jedoch befindet sich in untergeordneten Positionen. Das wird nicht zur Kenntnis genommen. Das Ignorieren dieser untergeordneten Männer könnte man als Form des Sexismus bezeichnen.“ Nicht nur Frauen, auch Männer urteilen nach diesen Modellen. „Es gibt eine Hierarchisierung der Männlichkeit“, sagt der Sozialwissenschaftler.

Alles, was Untergeordnetheit signalisiert, verschwindet dabei aus dem Radarfeld der Wahrnehmung von Männlichkeit. In der Tat legen auch Frauenrunden mitunter gnadenlos offen, nach welchen Klischees Männer auf- und abgewertet werden – sei es nach Körperbau, Dialekt, Wortgewandtheit, öffentlicher Sichtbarkeit und ökonomischem Erfolg. Abschätzige Sprüche hörte man etwa über die dicke Brille und das schwach ausgeprägte Kinn des hessischen SPD-Spitzenmannes Thorsten Schäfer-Gümbel, die ihn in den Augen mancher Wählerinnen als nicht durchsetzungsfähig erscheinen ließ, ganz so, als lebten wir noch im Wolfsrudel in der Taiga. Der Wertekanon wird aber auch durch Männerzeitschriften wie Men’s Health verstärkt.

Frauen kennen diese Abwertung des Körpers selbst sehr genau. Die Hierarchisierung von Weiblichkeit, die Trennung zwischen „schöner junger Frau“ und „alter Jungfer“ etwa zieht sich durch die Weltliteratur. Der Feminismus thematisiert diese Diskriminierungen. Die Demütigungen der Männer hingegen, die nicht dem Klischee des Gewinners entsprechen, sind noch weitgehend tabuisiert. Die Gesellschaft gestehe Männern keinen Schutz vor körperlichen und seelischen Verletzungen zu, meint Lenz. Verletzbarkeit „gilt als unmännlich“. Genau das ist die Falle.

Wenig hilfreich sind dabei die populären pseudowissenschaftlichen Bücher, die „männliches“ und „weibliches“ Verhalten auf Gesetze der Evolutionsbiologie zurückführen. Damit wird vermeintlich unabänderlich fixiert, dass „richtige“ Männer schon in der Savanne weitblickende Sieger waren. Dabei gehört es zum kapitalistischen System, dass rein rechnerisch nur wenige Männer in Spitzenpositionen gelangen können.

Über mögliche Benachteiligungen von Jungs, Männern und Vätern auf bestimmten gesellschaftlichen Feldern wird allerdings inzwischen offener gesprochen. Seit den späten 80er-Jahren etwa meldeten sich die geschiedenen „Zahlväter“ zu Wort, die sich beim Umgangs- und Sorgerecht benachteiligt fühlten. Aktuell debattieren vor allem Pädagogen um eine Diskriminierung der Jungs in den Schulen. Erst kürzlich ergab eine Befragung des niedersächsischen Sozialforschers Christian Pfeiffer, dass sich Jungs in Grundschulen ungerecht behandelt und benotet fühlen. Dort unterrichten vor allem Frauen.

Es kommt immer auf den gesellschaftlichen Kontext an, in dem Geschlechterstereotype geäußert werden, um deren Schlagkraft abzuschätzen. „Sexistische Elemente gegenüber Männern gibt es in Äußerungen von Frauen, aber die sind längst nicht so wirksam wie die sexistischen Klischees von Männern über Frauen. Denn diese treffen auf eine gesellschaftliche Ungleichheit, bei der Frauen benachteiligt sind“, sagt die Berliner Gender-Expertin Claudia von Braunmühl. Immer, wenn eine bestehende Ungleichheit durch ein Klischee verstärkt und bekräftigt werde, trage der Sprechende eine höhere Verantwortung als umgekehrt.

Nach diesem Grundsatz ist es folgenschwerer, wenn Männer in der Berufswelt Frauen für führungsungeeignet halten und ihnen damit auch finanzielle Ressourcen verweigern – als wenn sich Frauen über „Hahnenkämpfe“ der Männer abschätzig äußern.

Argumentiert man mit der Ungleichheit, dann wäre aber auch klar, dass etwa die beleidigende Bezeichnung eines männlichen Langzeitarbeitslosen als „Schlappschwanz“ durch eine Frau verantwortungslos ist, weil sie Gewinner-Verlierer-Diskurse in der Leistungsgesellschaft verstärkt. Es gibt viele Sektoren, in denen sich Ungleichheit und Diskriminierung äußern. Es geht also nicht nur um das Geschlecht.

BARBARA DRIBBUSCH, 52, ist taz-Redakteurin für Soziales und vertritt die These: Jeder Mann ist anders