Abgeordnet. Untergeordnet.

Die Partei will sehen, dass jemand „killen“ kann: Herausforderer suchen und vernichten

VON ULRIKE WINKELMANN

Ist der Politikbetrieb noch sexistisch, wo wir eine Bundeskanzlerin haben, erfolgreiche Ministerinnen wie Ursula von der Leyen oder Brigitte Zypries dazu? Aber ja. Möglicherweise täuschen die Frontfrauen im Kabinett sogar darüber hinweg, wie machtlos Frauen in der Politik sind.

Die vielen weiblichen Gesichter im Bundestag, auf Parteitagen? Die dürfen abstimmen. Manche Frauen haben auch Ämter, klar. Die Macht aber ist immer woanders. Für die Politikerinnen heißt das: Andauernd stehen sie in „großen Fußstapfen“ herum, und wenn’s schwierig wird, müssen die Männer ran.

So stellte etwa CSU-Chef Horst Seehofer Ende Oktober 2008 in der Berliner Bundespressekonferenz das neue Spitzenpersonal seiner Partei vor. Karl-Theodor zu Guttenberg, 36, sollte damals Generalsekretär und Ilse Aigner, 43, Seehofers Nachfolgerin, also Agrarministerin werden.

Mann folgt auf Frau: Zu Guttenberg löste die „glücklose“, sprich: untaugliche Christine Haderthauer ab, die angeblich schuld war am Wahldesaster der CSU. Der Freiherr, schrieb die FAZ später, „präsentierte sich der Bundespressekonferenz als weltgewandter Feingeist“, der von Seehofer für seine Dialogfähigkeit gelobt wurde. Frau folgt auf Mann: Die neue Ministerin dagegen sagte: „Ich weiß, ich trete in große Fußstapfen“, und lächelte an Seehofer hoch. „Größe 46“, sagte der und übernahm die Beantwortung aller Sachfragen, die an Aigner gestellt wurden.

Guttenberg ist mittlerweile zum Wirtschaftsminister aufgestiegen. Aigner, so hört man, bemüht sich in Brüssel, die wirre Agrarpolitik Seehofers weiter zu verfolgen.

Doch sind es ja nicht die zarten Füße oder das nette Lächeln, wodurch sich Frauen ins machtpolitische Off katapultieren. Kanzlerin Angela Merkel, Familienministerin Ursula von der Leyen oder Gesundheitsministerin Ulla Schmidt sind berühmt für ihr weibliches Lächeln und wahrhaftig nicht im Off. Es geht beim Geschlecht in der Politik nur in zweiter Linie um die Oberfläche, zuerst geht es um Machttaktiken.

Die weiblichen Kabinettsmitglieder fallen dadurch auf, dass sie sich von ihren Parteien nicht besonders am Regieren stören lassen. Sie scheren sich wenig um die schnell zu beleidigenden und vom multiplen Proporz bestimmten Parteiapparate.

Das ist nun einerseits typisch für Regierende. Doch haben diese Frauen ihren Aufstieg auch größtenteils unabhängig von den Apparaten gemacht: Merkels Geschichte von der Quereinsteigerin aus dem Osten ist Legende. Brigitte Zypries war lange Regierungsbeamtin und ist überhaupt erst seit 2005 gewählt. Von der Leyen wurde in Niedersachsen als Tochter des Exministerpräsidenten Ernst Albrecht kein Stein in den Weg gelegt.

Wenn jedoch die Macht dieser Frauen in der ersten Reihe darauf beruht, dass ihre Parteien sie nicht fesseln, so wirft das umgekehrt auch ein Licht darauf, was die vielen Frauen in der zweiten Reihe so machtlos sein lässt.

Was macht eine Ilse Aigner so klein, dass sie neben Seehofer wirkt wie ein Schulmädchen? Sie sitzt seit über zehn Jahren im Bundestag. Die Reihe der weiblichen SPD- und Unions-Abgeordneten, die formell einen beachtlichen politischen Lebenslauf, aber leider nichts zu sagen haben, ist sehr lang. Vielleicht sind es die mächtigen Apparate der Volksparteien, die es nicht dulden, dass eine Frau so viel Macht akkumuliert wie ein Mann. Vielleicht sind es die Frauen in Volksparteien, die den Apparat nicht bedienen können – oder nicht wollen.

So leitet Edelgard Bulmahn, immerhin frühere Bildungsministerin, den Wirtschaftsausschuss des Bundestags, Petra Bierwirth den Umweltausschuss und Kerstin Griese den Familienausschuss. Diese Sozialdemokratinnen haben Schlüsselpositionen. In den Ausschüssen werden oft maßgebliche Details von Gesetzen beraten. Doch zeugt es nicht von mangelndem Medienkonsum, wenn man von Bulmahn, Bierwirth oder Griese nichts liest oder hört. Sie haben sich nicht gegen die MinisterInnen ihres Ressorts in Stellung gebracht, keine wichtigen Änderungen an Gesetzesvorlagen durchgedrückt und keine provokanten Interviews gegeben.

Wie Provokateure belohnt werden, wenn sie sich abzusichern wissen, zeigte sich Ende 2008, als Philipp Mißfelder ins Präsidium der CDU aufstieg – auf Vorschlag der Senioren-Union. Ausgerechnet. Mißfelder, Chef der Jungen Union, der stets mit Ressentiments gegen den Sozialstaat punktet: Keine Hüftgelenke für 85-Jährige, kein Geld für ohnehin süchtige Arbeitslose. „Ich stehe nicht auf Frau Merkels Förderliste“, sagte er kokett vorm Parteitag im Dezember. Wenig später war er in die Parteiführung gewählt – gegen Merkels Willen. Es war ihr nicht gelungen, ihre Kandidatin Ursula Heinen, Staatssekretärin im Agrarministerium, im Vorfeld durchzudrücken. Mißfelder wurde dafür belohnt, dass er zugebissen hatte, dass er alle Kanzlerinnengegner hinter sich vereinigt hatte: Die Mittelstandsvereinigung, die JU, die Nordrhein-Westfalen um Jürgen Rüttgers. Heinen dagegen hatte nur eines: Kompetenz. Merkel, die selbst keine Truppen hat, konnte ihr auch keine verschaffen.

Macht besteht und entsteht, wo jemand sich was traut, weil er vermutet, dass andere vor Rache oder Strafe zurückschrecken. Den Frauen in den Volksparteien gelingt es nicht, solche Macht zu sammeln. Sie haben keine Truppen in der Fraktion, die zu ihnen halten, wenn es eng wird. Sie können keine Bezirksfürsten mit Hinterzimmerdeals köpfen, wenn die ihr Mandat bedrohen. Sie können niemanden mit Posten belohnen: Sie haben in aller Regel „nichts an den Füßen“, wie man auf parteideutsch sagt.

Über „die Fähigkeit, Leute für die eigene Sache einzuspannen, verfügen Frauen ganz sicher weniger als Männer“, sagt Helga Lukoschat, Vorstand der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft in Berlin. Das Prinzip, wonach nur unterstützt wird, wer auch etwas zurückgeben kann, herrsche natürlich auch in Wirtschaft oder Medien, doch nirgends so ausschließlich wie in der Politik. Lukoschat empfiehlt Frauen, die sich der stets unfairen Härte dieses Geschäfts nicht aussetzen, aber trotzdem aufsteigen wollen, den Umweg: Klüger könnte sein, „sich zunächst etwa in Verbänden oder anderen politischen Organisationen eine Machtbasis aufzubauen“, und dadurch auch eine Partei zu beeindrucken.

Doch ändert dies wenig daran, dass die Partei sehen will, dass jemand „killen“ kann, Herausforderer suchen und vernichten, wenn er schon – wie etwa Guttenberg – sich seinen Wahlkreis nicht durch Adels- und Wirtschaftskräfte erwirbt.

Dies ist wohl auch der Grund dafür, dass es bei den Grünen anders läuft. Auch der Parteiapparat der Grünen ist reizbar, doch er ist klein. Und er ist dank der feministischen Parteitradition auf eine Weise reizbar, die Frauen begünstigt. Die Quote – die die SPD auch hat – ist nicht Grund dafür, sondern Ausdruck davon. So kommen Frauen nach vorn, die ihrerseits das Geschäft der Intrige sehr gut verstehen und durchaus was an den Füßen haben: Renate Künast, Bärbel Höhn, Anja Hajduk.

Die Grünen zeigen noch den stärksten Kontrast zum Volksparteiensystem, in dem Frauen nur vordringen, wenn sie niemandem gefährlich werden, dafür aber jemandem nutzen – einem Mann. Seehofer etwa. Die erfolgreicheren Grünenfrauen wären als Volksparteigewächse nicht denkbar.

Solange sich nicht mehr Frauen finden, die sich den traditionellen Machtritualen der Volksparteien stellen und sie bewältigen oder überwinden, werden wir es weiter mit einer Merkel zu tun bekommen, einer Zypries, einer Schmidt. Okay. Aber gleich dahinter, da ist der Abgrund der Respektverweigerung und der bloß vorgetäuschten Macht.

ULRIKE WINKELMANN, 37, ist taz-Parlamentsredakteurin und mag ja auch keine Hinterzimmerdeals