Edle Leere

Der Dokumentarfilm „Tokyo Stars“ der Berliner Filmemacher Nina Fischer und Maroan el Sani zeigt den öden Alltag in den Talentschmieden der japanischen Musikindustrie

Sie sitzt herum, schaut aus dem Fenster, wackelt ein bisschen mit den Zehen und wartet

Ein Film über die Produktion von Popsternchen in Japan? Da erwartet man doch zunächst Bilder von endlosem Drill. Wenn man sich schon bei Dokusoaps über die deutsche Fabrikation von Superstars daran ergötzen durfte, wie sich junge Leute freiwillig den unfassbarsten Strapazen aussetzen, wenn man schon bei Weltgrößen wie Britney Spears oder Kylie Minogue denkt, dass es hier weniger um Herstellung von Erotik als um Konturierung überbordender Körper geht: Wie soll das dann erst in Japan zugehen – dem Land von Karrierefrust und Selbstbeherrschung? So ist man dann tatsächlich einigermaßen baff, als man schon nach den ersten Minuten merkt: „Tokyo Stars“ mag ein Dokumentarfilm über harte Arbeit und ehrgeizige Träume sein, dennoch hebt er ästhetisch eher auf die Langeweile ab, die all das auch produziert.

Es sind sechs Protagonisten, die die in Berlin lebenden Filmemacher Nina Fischer und Maroan el Sani auf ihrem Weg zur Akademie, zu den Tanz- und Singstunden, ins Studio, zur Imageberatung, den ersten Konzerten, aber auch in ihrem Alltag begleitet haben. Da ist zum Beispiel Mito, die jüngste, gerade mal zehn Jahre alt. Sie geht auf eine Talentschule und singt in einem Kinderchor. Montags hat sie Singstunde, dienstags klassisches Ballett, mittwochs schwimmen, donnerstags frei, freitags hat sie Klavierstunde, samstags Künstlerakademie, sonntags Englisch – so betet es zumindest gleich am Anfang des Filmes die Mutter herunter. Das klingt nach Stress, trotzdem sieht man Mito nie hektisch, eher wirkt sie beim Gang durch die Shopping Mall gefasst, viel zu ernst für ihr Alter. Eines der wichtigsten Mittel des Films, diese Stimmung der traurigen Leere zu verstärken, sind seine Kulissen: Ein Blick aus dem Fenster des Kinderzimmers auf die große Stadt, ein anderer aus der U-Bahn, auf die Hochhäuser, die Leuchtreklametafeln. Mag sein, dass Tokio eine der aufgeregtesten Städte der Welt ist, in der Wahrnehmung der Macher von „Tokyo Stars“ wirkt die Stadt rätselhaft öde.

Die stärkste Szene von „Tokyo Stars“ ist, als die neunzehnjährige Mika Nakashima, die es als Einzige bereits zum Star geschafft hat, in einem Werbeclip für einen Schokodrink auftreten soll. Der Film zeigt sie in einer endlosen Warteschleife, sie sitzt herum, schaut aus dem Fenster, wackelt ein bisschen mit den Zehen, wartet auf die Technik und das Team, wartet ein bisschen mehr, hält ihr Gesicht der Maske hin, wartet weiter auf ihren winzigen Einsatz. Während sie aus dem Off erzählt, dass sie höchstens mal eine Stunde am Tag für sich hat, wenn sie beim Lunch etwas schneller isst, hält die Kamera einfach nur auf dieses wunderschöne Mädchen mit den traurigen Augen, wie es mal ein bisschen gähnt und sich mal an den Haaren zupft, wie es den Kopf auf den Arm legt und döst. Und plötzlich hat man das Gefühl: Hier wird sich nicht nur blöde und sinnlos gelangweilt. Die Zeit, als Melancholie gebildeten Männern vorbehalten war, als diese edle Leere ausschließlich tiefsinnigen Charakteren und Genies zugeschrieben wurde, ist endgültig vorbei.

Schwer zu sagen, woran es liegt, dass „Tokyo Star“ trotzdem nie ins Moralische kippt. Vielleicht ist es eines der Mädchen, das einmal einen ganz besonders stumpfen Text singen soll und hinterher lapidar anmerkt, einen so tollen Song hätte sie ja noch nie gehört. Vielleicht liegt es auch an einem Jungen, der ein andermal meint, er wäre gern der asiatische Ricky Martin. Schon möglich, dass diese jungen Leute keine Kindheit haben. Trotzdem wirken sie so elegant in ihrem Ennui, als könnten sie jederzeit auch aufhören mit diesem Quark. SUSANNE MESSMER

„Tokyo Star“, R.: Nina Fischer u. Maroan el Sani, Deutschland 2004, 78 Min., OmU. Heute, 19 Uhr, Filmkunsthaus Babylon, Rosa-Luxemburg-Str. 30, Mitte