Bunt, pünktlich – anders

Vier junge Frauen aus der Ukraine haben ein halbes Jahr bei den Stahlwerken gearbeitet. Ihre Arbeit finden sie „ein bisschen wichtig“, die Deutschen scheußlich gekleidet und ansonsten alle „sehr nett“

Katerina beugt sich vor und hebt den Finger: „Aber Haupt ist Arbeit“

Am schlimmsten ist, dass hier die Straßenbahnen so pünktlich sind. So pünktlich, dass sie nicht warten, wenn eine wie Tetjana verschlafen hat. Tetjana kommt von weit, weit her. Aus der Ukraine, aus der Stadt Ludansk ganz im Osten des Landes. Nein, da wartet der Bus auch nicht – „wir wissen gar nicht, wann er kommt.“

Gemeinsam mit drei Studienfreundinnen ist die 22-Jährige seit einem halben Jahr in Bremen. In einem ganz besonderen Stück Bremen: bei den Stahlwerken. Dort arbeiten die vier Frauen zwischen fauchenden Hochöfen, Hallen voller Maschinen, Büros voller Ordner und Menschen, die vielleicht noch englisch oder französisch sprechen, aber ganz bestimmt kein russisch.

„Am Anfang war es schlimm“, sagt Tetjana, „ich habe nichts verstanden“. Jetzt verstehen sie das meiste. Und sagen Dinge wie „Roheisenentschwefelung“ oder „Berechnung der gesamten Betriebskosten unter Einsatz von Fließkalk“ oder „Optimierung und Verschleißminimierung“ mit rollendem R und abgehacktem K, aber in ganzer Selbstverständlichkeit.

Tetjana, Svitlana, Katerina und Jelena wohnen in Stahlwerker-Familien, in Gröpelingen und in der Neustadt. Zum zweiten Mal hat sich das Unternehmen, das zur Luxemburger Arcelor-Gruppe gehört, Praktikanten aus Osteuropa organisiert. Weil dort die Ausbildung so gut sei. Die Vier aus Lugansk haben schon daheim begonnen, Deutsch zu lernen und in Bremen Crash-Kurse besucht. In ihrer Heimat heißt ihr Fach „Technologie des Maschinenbaus“. Während in hier immer noch wenige Frauen solche Fächer studieren, ist das in Osteuropa kein Thema. „Fifty-fifty“ sei der Männer-Frauen-Anteil bei ihnen, schätzen die Ukrainerinnen.

„Bei uns wollen viele Studenten auch schöne Fächer wählen“, erzählt Katerina, Fächer wie Jura oder Wirtschaft. Aber in Katerinas Familie hatten und haben alle etwas mit Technik zu tun: Ihre Großmutter und ihr – „wie heißt das: Übergroßvater?“ –Urgroßvater auch, und Katerina auch. Bei den Stahlwerken arbeitet sie im am „Einbau dynamischer Pumpen“ in einer Presswasseranlage – „der ganze Vorgang muss optimiert werden“, erzählt die 21-Jährige, lächelt und ergänzt: „Das ist auch ein bisschen wichtig.“

„Ein bisschen wichtig“ ist gut – die Studentinnen haben alle eigene Projekte und „die Arbeit, die sie machen, wird auch umgesetzt“. Das sagt Hans-Dieter Schaffer. Er ist Praktikumsbetreuer von Svitlana und Chef der Werkstatt. Hier, im Herz der Stahlwerke, wird alles repariert, was kaputt und transportierbar ist. Hier sitzt Hans-Dieter Schaffer. Zwischen Zeichnungen von Segelbooten und einem Foto der „Astor“, mit der er schon bis nach Neuseeland gekommen ist. Neben ihm sitzt Svitlana, konstruiert am Computer, wie ein neuer „Wasserrollgang“, auf dem der Stahl transportiert wird, aussehen könnte. „Pfiffig“ seien die Mädchen, sagt Schaffer. Die sitzen daneben und kichern. Wenn sie in ihre Heimat zurückkehren, schreiben sie ihre Abschlussarbeiten – und sind dann mit Anfang 20 viel jünger als deutsche Studenten. Es gebe viele Fabriken dort, erzählt Svitlana. „Ich möchte als Ingenieurin arbeiten“ sagt sie und dass es trotz der ganzen Fabriken schwer wird, Arbeit zu finden. „Es gibt immer weniger Arbeitsplätze und sehr wenig Geld.“ Svitlana würde gerne in Deutschland arbeiten.

Dass die Menschen hier mehr Geld verdienen und sich davon mehr kaufen können, das sehen die Frauen – aber sie haben ihre eigene Art, das Konsumgefälle hinzunehmen. Als erstes sei ihnen aufgefallen, erzählen sie, dass die Deutschen sich schrecklich kleiden. „Sehr viele Farben“, sagt Tetjana und kichert, „die jungen Mädchen tragen hier alle Farben zusammen.“ Tetjana trägt eine rote Bluse zu einer blauen Jeans, das sei ja auch etwas anderes, „zwei, drei Farben ja – aber doch nicht so.“ Was „so“ konkret heißt, lassen sie offen, betonen aber wieder und wieder, wie nett hier alles sei, in welch „schönem Kollektiv“ sie gelandet seien und wie interessant sie ihre Arbeit finden.

Sie haben die Zeit genutzt. Waren in Berlin, Paris und Groningen, in Celle, in Hamburg und am Meer. Sie würden gerne noch mehr sehen. „Ist ja noch eine Woche Zeit“, sagt Tetjana und alle lachen. Katerina beugt sich vor und hebt den Finger: „Aber Haupt ist Arbeit.“

Heute in einer Woche werden die vier die Stadt wieder verlassen, im Bus. Gen Osten. 45 Stunden später sind sie dann zu Hause. Und der Platz neben Herrn Schaffer ist dann wieder leer. Sie werden ihm fehlen, dem Mann, der seit 39 Jahren bei den Stahlwerken ist und wie verwachsen scheint mit den Maschinen, die in der Halle nebenan dröhnen und mit den Menschen, die hier arbeiten. Es werden andere Studenten kommen. Und wer weiß, vielleicht kommen die Vier aus der Ukraine auch mal zurück.

Susanne Gieffers