Matthäus ist Geschichte

Nach der Fußball-WM beendet Bettina Wiegmann ihre aktive Karriere – vielleicht als Weltmeisterin, ganz sicher mit DFB-Rekord. Heute bestreitet die 31-Jährige nämlich ihr 150. Länderspiel

von RAINER HENNIES

„Ich möchte gerne mit einem Sieg abtreten“, sagt Bettina Wiegmann. Das sind zunächst einmal recht unspektakuläre Worte aus dem Mund der Spielführerin der deutschen Fußball-Nationalmannschaft der Frauen, letztendlich aber verbirgt sich hinter ihnen doch eindeutig Großes.

Nach dem 4:1 im Auftaktspiel gegen Kanada und dem damit schon mehr oder weniger sicheren Erreichen des Viertelfinals heißt das für den weiteren Verlauf des WM-Turniers in USA frei übersetzt nämlich nichts anderes als: Ich möchte Weltmeisterin werden.

So offensiv würde das Bettina Wiegmann freilich nie formulieren, das ist einfach nicht ihre Art, sie ist ja bescheiden. Und zieht es schon deshalb vor, die Endstation ihrer aktiven Karriere leicht verklausuliert zu formulieren. „WM-Gold fehlt mir noch in meiner Sammlung“, sagt sie also – und lächelt dabei spitzbübisch. Bisher hat sie es bei einer WM lediglich zu Silber gebracht, 1995 war das. Und zu Bronze bei Olympia 2000 in Sydney. Europameisterin hingegen war die 31-Jährige gleich viermal, zuletzt vor zwei Jahren. Das nur, um deutlich zu machen, von wem hier die Rede ist. In Columbus im US-Bundesstaat Ohio erlebt die gelernte Kommunikationselektronikerin ihre bereits vierte WM, die auch ihre letzte sein wird. Danach ist Schluss, schließlich soll man aufhören, wenn’s am schönsten ist. „Es ist der richtige Zeitpunkt“, ist sich Wiegmann sicher. „Ich will nicht, dass die Leute irgendwann sagen: Holt die Oma vom Platz!“

Noch ist sie keine Oma, noch will sie keiner vom Platz holen. Vor allem aber: Noch hat sie diesen Traum, dessen Erfüllung sie schon am heutigen Mittwoch, im zweiten Gruppenspiel gegen Japan (23.45, ARD), wieder ein Stückchen vorantreiben kann. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass sie es tut, die deutsche Mannschaft gilt erneut als haushoher Favorit. Ganz sicher ist hingegen schon, dass Bettina Wiegmann heute Abend zum 150. Mal das Trikot mit dem Adler überstreifen wird. Dass sie damit zu Lothar Matthäus aufschließt – geschenkt. Dass sie „Lodda“ drei Tage später gegen Argentinien gar überholen wird und dann alleine den DFB-Länderspielrekord trägt – nur für die Medien ein Thema. Wiegmann sagt: „Das sind nur Zahlen. Du kannst zwar Rekordspielerin sein, aber ein Spiel gewinnst du immer nur als Teil der Mannschaft.“

Die 31-Jährige ist ein sehr wichtiger Teil der deutschen Mannschaft – und das, seit sie vor 14 Jahren zum ersten Mal für Deutschland einem Ball nachjagte. Cheftrainerin Tina Theune-Meyer schätzt Wiegmann nicht nur als kongenialen Dauerbrenner im Mittelfeld, sondern bezeichnet sie schlichtweg als „Kopf der Mannschaft“ – und „effektivste Spielerin“. Kaum jemand sei so geeignet, unterschiedliche Mentalitäten unter einen Hut zu bringen wie Bettina Wiegmann, die Fußballerin ohne Schlagzeilen und Skandale. „Sie muss kein Wort sagen und bestimmt trotzdem das Geschehen“, lobt die Trainerin ihre Mannschaftsführerin.

Ihren Job bei der Telekom hat Bettina Wiegmann schon vor längerer Zeit aufgegeben, um sich ganz dem Fußball widmen zu können, auch nach ihrem Karriereende, also nach dieser WM, wird sie ihrem Sport treu bleiben: Schon seit Januar ist Wiegmann, die in der E-Jugend des TSV Feytal bei Euskirchen das Fußballspielen unter lauter Jungs gelernt hat, Sportlehrerin des Fußballverbandes Mittelrhein. Beim FFC Brauweiler, wo sie groß geworden ist und den sie nur für zwei Auslandsjahre bei den Boston Breakers zwischenzeitlich verlassen hat, spielte sie zuletzt – bis zur WM.

Egal wie diese für Bettina Wiegmann endet, fest steht schon jetzt, dass der DFB sein Geschichtsbuch umschreiben muss: Ab Samstag, nach dem letzten Gruppenspiel gegen Argentinien, ist ausgerechnet beim männerfreundlichen DFB der Rekordspieler eine Frau.