Gute Teilchen, böse Teilchen

Die Nanotechnik wird die Forschung revolutionieren. Doch der Umgang mit den winzigen Objekten birgt Gefahren. Denen muss sich die Wissenschaft endlich stellen

Die Atomkraft hat den Unsinn einer an sich neutralen Technik eindrucksvoll widerlegt

Vier Jahre nach dem Ende des Internetbooms sind erste Anzeichen eines neuen Hypes erkennbar. Sein Signum: das Kürzel „nano“, das sich anschickt, die Rolle des „e-“ aus den Anfangstagen des World Wide Web einzunehmen. Schon macht sich an der New Yorker Wall Street eine nervöse Spannung breit, legen Investmenthäuser wie Merrill Lynch erste „Nano“-Börsenindizes auf.

Die meisten Zeitgenossen haben jedoch nur eine nebulöse Vorstellung davon, was Nanotechnik eigentlich ist. Denn noch gibt es keine charakteristische Anwendung in unserem Alltag. Das unterscheidet die Nanotechnik bislang von der Informationstechnik, die uns den PC bescherte, von der Biotechnik, die die künstliche Befruchtung hervorbrachte, oder der Gentechnik, die Bauern mit unnatürlich pestizidresistentem Saatgut konfrontiert.

Doch auch die Nanotechnik hat einen höchst realen Kern. Unter diesem Begriff werden sämtliche Technologien zusammengefasst, die Objekte manipulieren und nutzen, die kleiner als 100 Nanometer sind (ein Nanometer ist ein Millionstel Millimeter): Dazu gehören Moleküle und kleinste Metall- und Halbleiterteilchen ebenso wie biologische Zellapparate. Der deutsche Physiknobelpreisträger Gerd Binnig übertreibt nicht, wenn er feststellt, dass wir mit der Entstehung der Nanotechnik Zeugen „einer zweiten Genesis, einer grundlegend neuen Evolution von materiellen Strukturen“ werden.

Die könnte uns noch kleinere und leistungsfähigere Prozessoren, „maßgeschneiderte“ Werkstoffe, hoch empfindliche Sensoren oder „intelligente“ Medikamente bescheren. Die darauf aufbauenden Anwendungen klingen recht brauchbar. Wer könnte sich nicht für Fensterscheiben begeistern, die sich selbst reinigen, für Therapien, die Tumore ohne chemische Keulen beseitigen, für hauchdünne Beschichtungen, die Sonnenlicht auf beliebigen Oberflächen in Strom umwandeln, oder für Speicherchips von der Größe einer Centmünze, die eine komplette DVD fassen. Kein Wunder, dass Nanoforscher, Venture-Kapitalisten und Finanzmärkte sich für die neue Epoche der Technik begeistern, die nun anbrechen soll. Wenn da nicht noch das „Kleingedruckte“ wäre, ohne das keine neue Technik je über uns gekommen ist.

Toxikologen haben die Nanotechnik nämlich unter die Lupe genommen und herausgefunden, dass einige Materialien durchaus heikel sind: unter anderem Nanoteilchen aus Titandioxid sowie zwei Molekülformen des Kohlenstoffs, so genannte Nanotubes und Buckyballs. Während Erstere inzwischen in Sonnenmilch und Nanosolarzellen eingesetzt werden, gelten Letztere als Wundermaterial für künftige Computerschaltkreise und Medizintherapien.

Der Befund lautete: Titandioxid ist als Mikrokörnchen harmlos, als Nanoteilchen hingegen potenziell giftig; Nanotubes, hauchfeine lange Röhren, könnten ähnlich schädlich wie Asbestfasern sein; und Buckyballs haben Fischen Hirnschäden beigebracht.

Nun wurde diese Problematik erstmals von den kanadischen Aktivisten der ETC Group unters Volk gebracht. Anfangs forderten sie nichts weniger als einen einjährigen weltweiten Forschungsstopp in der gesamten Nanoforschung – angesichts der Diversität dieses Gebietes unsinnig. Da war es für die Wissenschaftler leicht, sich entrüstet an den Kopf zu greifen.

Doch in den letzten Monaten hat sich die Lage geändert. Mit der Swiss Re, der zweitgrößten Rückversicherung der Welt, hat kürzlich erstmals ein Global Player die möglichen Gefahren von Nanoteilchen thematisiert. Vor zwei Wochen legten nun auch die jeglicher Panikmache unverdächtigen Royal Society und Royal Academy of Engineering in Großbritannien gemeinsam eine Sicherheitsstudie über die Wundermaterialien vor. Fazit: Technisch produzierte Nanoteilchen sollten bis zum Beweis des Gegenteils erst einmal als potenziell gefährlich eingestuft werden.

Diese Beiträge kommen für die Nano-Gemeinde zur Unzeit. Das Eingeständnis eines ungeklärten Risikos könnte schließlich den üppigen Fluss der Forschungsmilliarden – 2004 waren es weltweit etwa 10 Milliarden Euro – womöglich an Auflagen binden. Also besser nichts kommentieren, um einer Regulierung zu entgehen?

Eine erstaunliche Haltung, da aus den Erfahrungen mit Atomkraft und Gentechnik klar sein müsste, dass das Ende umso dicker kommt, je später man sich der Schattenseiten einer neuen Technik annimmt. Aber in Sonntagsreden zeigt man sich lediglich besorgt, dass diese nicht in „falsche Hände“ geraten dürfe, und beteuert, man werde das Problem ernst nehmen.

Das ist naiv – und wird der Realität der Nanoforschung nicht gerecht. Zwar sind die wenigen echten nanotechnischen Produkte meist Werkstoffe, in denen Nanoteilchen fest in ein Trägermaterial eingebettet sind. Doch schon jetzt engagiert sich in einigen Ländern das Militär auf dem neuen Gebiet. Außerdem ist abzusehen, dass Bio- und Gentechnik, die seit Jahrzehnten mit DNS und Proteinen, also Molekülen, arbeiten, in der Nanotechnik aufgehen werden.

Selbstreinigende Fenster, Beschichtungen, die aus Sonnenlicht Strom machen, wen begeistert das nicht?

Auch wenn niemand Sciencefiction-Nanoroboter entwickelt, sind von der Biologie inspirierte Nanomaschinen sehr wohl Gegenstand diverser Forschungsgruppen in aller Welt. Drittens: Die Atomkraft hat den Unsinn einer an sich neutralen Technik eindrucksvoll widerlegt, denn sie war nur um den Preis einer latent repressiven Sicherheitsinfrastruktur zu realisieren.

Die Nanoforscher können sich auch nicht länger über die maßlose Forderung eines Forschungsstopps seitens der Kritiker entrüsten. Denn der wird nicht einmal mehr von der ETC Group vertreten. „Die ganze Palette von nanotechnischen Anwendungen mit einer einzigen politischen Maßnahme anzugehen hat keinen Sinn“, räumt Douglas Parr von der britischen Greenpeace-Sektion ein.

Was also tun? Der kanadische Abrüstungsexperte Sean Howard hat vorgeschlagen, in Analogie zum UNO-Abkommen über die friedliche Nutzung des Weltraums, dem „Outer Space Treaty“, ein „Inner Space Treaty“ auszuarbeiten. Diese Analogie lässt sich sicher nicht eins zu eins umsetzen. Aber die Nano-Community selbst sollte beginnen, sämtliche vorstellbaren Anwendungen heutiger Forschungsprojekte zunächst einmal in eine „harte“ – nicht weiter zu verfolgende – und in eine „weiche“ Nanotechnik zu kategorisieren.

Unter die harte Nanotechnik könnten Objekte fallen, die Organismen oder biologische Prozesse schädigen oder unkontrollierbar verändern können, oder solche Technologien, die nur in zentralisierten Hochsicherheitstrakten realisiert werden können. Die „weichen“ selbstreinigenden Fenster, Nanosolarzellen oder DVD-Speicher sind schon Fortschritt genug. Die Nanotech-Kritiker haben ausreichende Vorleistungen erbracht. Jetzt muss die Nanoforschung sagen, wie sie ihr Objekt sicher machen will. NIELS BOEING