Himmelsmaschine und Graswurzel

Kinder sind die perfekten Kunstbetrachter. Die finnische Botschaft zeigt die Gegenwartskunstausstellung „Irrfahrt“ für Kinder und Jugendliche, bei der aber kein einziges Werk der finnischen Künstler speziell für Kinder geschaffen wurde

Mit Kunst und Kindern ist es so eine Sache: Entweder die Kleinen stehen gelangweilt vor Glasvitrinen unter bösen Blicken des argwöhnischen Aufsichtspersonals oder die angewandte Museumspädagogik führt zum „infantilen Museum“. Wenn überall pseudopartizipatorisch was rumzuschrauben und auszuprobieren ist, nervt es die Eltern und langweilt letztendlich auch die Kinder. Von „Events“ wie Harry-Potter-Nachmittagen und Kindergeburtstagen im Museum mal ganz zu schweigen.

Dabei sind Kinder eigentlich die perfekten Kunstbetrachter, im Normalfall neugierig, begeisterungsfähig und vorurteilsfrei. In der finnischen Botschaft wird seit Montag „Irrfahrt“ gezeigt, eine Gegenwartskunstausstellung für Kinder und Jugendliche, bei der aber kein einziges Werk der zeitgenössischen finnischen Künstler speziell für Kinder geschaffen wurde. So hat man auch auf Farborgien verzichtet und ist nicht dem Irrtum aufgesessen, überall wo Kinder sind, müsse es schreiend bunt zugehen. Statt dessen geht es bei „Irrfahrt“ um Räumlichkeit, Schattenrisse, Licht, Bewegungen und ungewöhnliche Blickwinkel.

Die Ausstellung kommt aus Rauma, der drittältesten finnischen Stadt an der Westküste, wo auch alle zwei Jahre die Balticum Biennale stattfindet. Für Berlin musste man umdisponieren, und die Ausstellung im Felleshus, dem Gemeinschaftshaus der nordischen Botschaften, ein wenig ums Treppenhaus herum bauen. Die „Himmelsmaschine“ von Helena Hietanen und Jaakko Niemelä – ein Publikumsmagnet in Rauma – hat ein wenig unter dem Umzug gelitten. Die finnischen Kinder konnten noch in die Video-Licht-Installation hineingehen, versuchten das Laserlicht zu fangen und sogar aufzuessen, die Berliner Kinder sehen wegen der hiesigen Feuerschutzbestimmungen nur die abgedeckte Version.

Hari Haanperäs Lichtprojektor erinnert ans Schattentheater, aber auch an die optischen Apparate E. T. A. Hoffmanns. Leuchten, Brenngläser, Lupen und andere bewegte Gegenstände werfen Schatten an die Wand und der Betrachter selbst wird zum lebenden Schattenbild.

Atte Uotilas Kunstwerk „Wo die Graswurzeln sind“ ist erst einmal ein Holzgerüst, und nur wer hinaufgeklettert ist sieht das Gras. Die ökologisch beflissene Elternschaft kann da auch ganz nebenbei dem Nachwuchs nachhaltiges Bewusstsein vermitteln und über Gras als perfekte Wärmedämmung auf Dächern referieren. Bei den bekletterbaren Exponaten fehlen aber die letzten Stufen, so dass doch kein echter Abenteuerspielplatz daraus wird.

Ein Highlight der Ausstellung ist Hannah Haaslahtis „White Square“, eine interaktive Videoprojektion. Auf einem weißen Feld gruppieren sich, nachdem der Besucher es betritt, Figuren um ihn herum, die auf seine Bewegung reagieren. Am Montagabend bei der Eröffnung sah man schon ältere Herrschaften absurde Bewegungen vollführen, um herauszufinden, wie sie die Videofiguren beeinflussen können, Kinder und Jugendliche wird dieser Raum erst recht zum Staunen und Tanzen bringen.

Kritische Erwachsene, die interaktive Medienkunst und kinetische Kunst schon zur Genüge kennen, können sich im „Felleshus“ immer noch ins Café zurückziehen und sich an der nordischen Architektur erfreuen. Die Innen-/Außenwirkung, das Licht- und Schattenspiel wiederholt sich recht schön in der Architektur und den Blenden der Außenfassade. „Irrfahrt“ ist nicht zuletzt eine gute Gelegenheit, die nordischen Botschaften, die man von außen als türkisfarbene Welle wahrnimmt, mal von innen zu erleben.

CHRISTIANE RÖSINGER

„Irrfahrt“. Bis 1. Mai, Nordische Botschaften, Rauchstraße, Mo.–Fr. 10–19 Uhr, Sa., So. 11–16 Uhr