Leben für die Qualitätszeitung

Nur ein normaler kleiner Kiosk in Berlin? Eher ein Universum

Armin Pitterle neigt wirklich nicht zu Übertreibungen. Also muss man ernst nehmen, wenn er sagt: „Eingetragen sind wir als ganz normaler Zeitschriften-Tabakwaren-Laden – aber dahinter verbirgt sich ein ganzes Universum.“ Vor allem der mit Blättern aus aller Welt voll gestopfte Zeitungsständer beweist, dass dieser kleine Laden tatsächlich ein Universum ist. Und es zeigt sich auch, wenn der Laden wieder mal voll diskutierender Leute ist.

Dabei gibt‘s hier nichts umsonst – außer vielleicht Informationen, die in keiner Zeitung stehen. Der Zeitungskiosk mitten im Berliner Stadtteil Schöneberg ist eine kleine Nachrichtenbörse; mal ein Gerücht hier, eine Neuigkeit dort. Außerdem ist er seit seiner Gründung immer mehr zum Treffpunkt von Berliner Brasilianern geworden.

Das liegt vor allem an Genilda Gomes, für die es überhaupt kein Widerspruch ist, nachmittags Zeitungen zu verkaufen und abends Samba zu unterrichten. Eigentlich ist sie nur Aushilfe im Laden, aber „inoffiziell ist sie das Herz“, sagt Inhaber Armin Pitterle. Ihr Temperament harmoniert schon seit elf Jahren mit Pitterles ruhiger, schwäbischer Art. So lange schon betreiben sie das Geschäft gemeinsam – und ein Ende ist nicht in Sicht. Dabei sind die beiden weder verwandt noch ein Paar.

Reich werden sie damit selbstverständlich nicht, die allgemeine Krise macht auch vor ihrem Laden nicht Halt. Der Zeitungsverkauf sei heute vollkommen anders als noch vor zehn Jahren, sagt Pitterle. Die Leute ließen sich vor allem vom Preis leiten. Im Moment laufen die eher billigen, deutlich unter einem Euro liegenden Lokalblätter am besten, alle zwei bis drei Tage und vor allem am Wochenende aber „greifen viele Leute zusätzlich auch zu Anspruchsvollerem wie der taz“.

Während er unter der Woche zwei bis vier Ausgaben der taz verkauft, sind es am Wochenende bis zu zehn. Das ist nicht viel – aber ein wichtiger Bestandteil seines Geschäfts. Die meisten der Käufer sind zu Stammkunden geworden, die Pitterle als besonders an Hintergrundinformationen interessiert beschreibt. „Eine Kundin wollte sogar mal die taz von vorgestern, um da eine Geschichte nachzulesen.“ Dass nichts älter ist als die Zeitung von gestern, stimmt also nur bedingt. Auch die manchmal bereits Wochen alten brasilianischen Magazine verkaufen sich bestens; weil es sie nur hier gibt, gilt der Laden als Geheimtipp unter Exilbrasilianern.

Hauptkern des Geschäfts jedoch sind die tagesfrischen internationalen Zeitungen. Ohne sie würde sich Pitterle „wie eine Primel vorkommen, die eingeht“. Nicht nur der Verkauf, auch die Gespräche und Diskussionen mit seinen Kunden sind ihm wichtig, ohne das wäre es nur ein karger Existenzkampf. Zwar steht der Kiosk mittlerweile auf einigermaßen sicheren Füßen, dennoch schippert Armin Pitterle immer am Rande der Existenz. Trotzdem ist für ihn Idealismus wichtiger als das Geschäft – die rechte Nationalzeitung etwa legt er gar nicht erst aus. Auch für die Springer-Presse hat er nicht allzu viel übrig. Aus diesem Grund gönnt er sich eher unübliche Öffnungszeiten – von 9 bis manchmal 20 Uhr. Als er anfangs immer noch um 5 Uhr morgens öffnete, stellte er irgendwann fest, dass sich am frühen Morgen nur die Springer-Presse verkauft – und die können sich die Kunden doch auch beim nächsten Kiosk holen, findet Pitterle.

JUDITH HYAMS