Die Riesling-Terroiristen kommen

Eine neue Generation deutscher Winzer überwindet den Muff der Väter, indem sie sich den Techniken der Großväter zuwendet. Vom Weinberg aus erobern sie mit ihren Riesling-Weinen die USA, nun ist auch Deutschland dran: Rheinromantik statt Toskana

AUS BERLIN UND PHILADELPHIA SABINE HERRE
UND THILO KNOTT

„Deutschland, das ist Riesling.“ Gregory Castells sitzt an der Bar, schlürft an seinem Wegeler Riesling Kabinett, Jahrgang 1999, und kommt ins Schwärmen. Dieses leicht Mineralische, das passe sehr gut zum Essen. „Riesling“, sagt er und begutachtet die strohgelbe Farbe des Weins. „Riesling“, wiederholt er und wird fast ein bisschen pathetisch, „ist die Traube des 21. Jahrhunderts.“

Der 29-jährige Franzose ist seit drei Jahren Chefsommelier im „Le Bec Fin“, dem besten Restaurant von Philadelphia. Zwei Monate muss man im Voraus reservieren, um am Samstagabend hier dinieren zu können. 700 Weine stehen auf der Weinkarte, darunter auch 20 Rieslinge. „Nächsten Monat werden wir unser Riesling-Angebot noch weiter ausbauen“, erklärt der junge Sommelier, dann bekommt das Le Bec Fin eine Lieferung mit 16 verschiedenen Sorten. Auslese, Eiswein, Beerenauslese.

Riesling ist populär in den USA, „the new fashion“, sagt Castells. In den Sechzigern und Siebzigern waren Pinot Grigio oder Weißer Zinfandel in Mode, danach begann der Siegeszug des Chardonnay. „Blockbuster“ nennt Castells den Chardonnay verächtlich. Dieser passe überhaupt nicht zum Essen, weil er mit seinen Holztönen und seinem Alkoholgehalt alles übertünche. Inzwischen aber habe sich der Geschmack der Amerikaner geändert, sagt der Franzose, „unsere Kunden interessieren sich nicht nur für Weine, die gerade als chic gelten. Sie probieren viel aus.“ In den Restaurants werde jetzt „immer mehr und auch besserer Wein getrunken“. Und eben immer mehr Riesling aus Deutschland.

Der Papst gab den Segen

Der Riesling-Erfolg in den USA hat einen Namen: Robert Parker. Er ist nicht nur Weinexperte, sondern der Weinpapst der Amerikaner, und als der von ihm herausgegebene Wine Advocate im Herbst 2002 den Eiswein Oberhäuser Brücke vom Weingut Dönnhoff mit der Höchstpunktzahl von 100 bewertete, knallten an Rhein und Mosel die Rieslingsektkorken.

Seit mehr als einem Jahrzehnt hatten die deutschen Winzer gegen ihr schlechtes Image gekämpft: Den einstigen „König der Weißweine“ gab es für 2,49 Mark im Supermarkt, er schmeckte mehr nach Traubensaft als nach Wein, galt als zuckersüß und gepanscht. Riesling, das war der Wein der Rentnerinnen von Rüdesheim. Unter den führenden deutschen Politikern gab es eigentlich nur einen bekennenden Riesling-Trinker: Konrad Adenauer. Und der ist auch schon ziemlich lange tot.

Doch nun sieht alles ganz nach einem Riesling-Revival aus. Die Exporterlöse der Winzer zwischen Baden und Saale-Unstrut erreichten in diesem Jahr den höchsten Stand seit 1985. Allein in den USA stieg der Import von deutschen Rieslingen um über 30 Prozent. Trotz eines starken Euro wuchs der Absatz auf fast allen Auslandsmärkten, sei es Schweden, Russland oder Korea. Zugleich ließ das Interesse für französische und italienische Weine deutlich nach. Und das deutsche „Weinkontor“ vermeldete im August 2003 stolz, dass man als „Kanzleramtslieferant“ von nun an Gerhard Schröder mit „Würtz Pinot Noir“ versorgen werde. Auch der Bundeskanzler sei zu deutschen Weinen zurückgekehrt.

Brauchen die Deutschen also erst die Amerikaner und einen amerikanischen Weinpapst, um zu erkennen, dass sie im eigenen Land gute Weine machen? „Ja und Nein“, sagt dazu Sebastian Raabe von der „Wein & Glas Compagnie“, die in Berlin-Wilmersdorf seit mehr als 25 Jahren Riesling verkauft. Natürlich habe man gewusst, dass der deutsche Riesling in den letzten 10 bis 15 Jahren immer besser geworden sei, aber so ein Segen des Weinpapstes helfe eben ungemein. „Endlich fühlen wir uns und unseren Geschmack bestätigt.“

Schluss mit Toskana

Doch für Sebastian Raabe und die deutschen Riesling-Fans bedeutet der plötzliche Erfolg des Rieslings noch viel mehr als nur die Bestätigung der eigenen Vorliebe. Das Riesling-Revival kennzeichnet auch das Ende einer Weinepoche. „Körperreich, wuchtig, alkoholschwer, so waren die Weine der 80er- und 90er- Jahre“, sagt Raabe. Es waren die Weine der Toskana-Fraktion, gedacht für die Power-Trinker der Berliner Republik. Die Rieslinge dagegen seien leicht, spritzig, „und viel finessenreicher“.

Vom Ende der Toskana-Mode spricht auch Nik Weis, einer jener jungen Winzer, die mit ihren Weinen in den USA derzeit für Furore sorgen. Und damit meint der 32-Jährige nicht nur den Wein: „Wir sind die Gegenbewegung zu den 68ern. Für diese waren deutsche Produkte spießig. Unsere Generation hat nichts dagegen, sich zu deutschen Traditionen zu bekennen. Im Gegenteil. Rheinromantik ist für uns fast schon Kult. Wir sind die Generation Riesling.“

Auch Weinhändler Raabe wird politisch: „Die 25- bis 35-jährigen Winzer müssen sich nicht mehr dafür rechtfertigen, dass sie unmoderne, traditionelle Weine produzieren. Sie haben ein viel unproblematischeres Verhältnis zur deutschen Geschichte.“

Doch was macht die Generation Riesling nun eigentlich anders als ihre Väter? Und was sind unmoderne Weine? Nik Weis vom St.-Urbans-Hof an der Mosel: „Nach den Weinskandalen der Achtzigerjahre war auch mein Vater gezwungen, den Weinstil radikal zu ändern. Von süß auf strohtrocken.“ Auf diese Weise hätten die deutschen Winzer sich dem internationalen Weingeschmack angepasst. „Wenn irgendwo auf der Welt ein bestimmter Wein Erfolg hatte, versuchte man ihn zu kopieren. So entstanden Einheitsweine, globalisierte Weine.“

Gegen diese Globalisierung setzten die jungen Winzer ihr heimatliches „Terroir“. Was so viel heißt wie: Der Geschmack des Bodens soll in die Flasche, wer einen Riesling trinkt, soll schmecken und riechen können, woher er kommt. Da es in Deutschland aber tausende von unterschiedlichen Weinbergsparzellen gibt, führt diese „Terroirisierung“ vor allem zu einem: zu mehr Spaß im Glas.

Verzichten wollen die Winzer außerdem auf die Tricks der modernen Weinbereitung. Statt auf Reinzuchthefen und Edelstahltanks setzt man auf Spontangärung und verwendet wieder das traditionelle große Holzfass. Die Generation Riesling ist zu den Methoden ihrer Großväter zurückgekehrt.

Die Förderung der jungen Winzer haben sich die „WeinFUNatiker“ zum Ziel gesetzt. Die kleine Gruppe von Sommeliers, auch sie um die 30 Jahre alt, möchte, dass Wein vor allem Spaß macht. Einen ersten großen Erfolg hatte der heutige Geschäftsführer Matthias Dathan schon vor zwei Jahren. Für den „Brandenburger Hof“ in Berlin stellte der Sommelier eine Weinkarte mit ausschließlich deutschen Weinen zusammen. 850 Spätburgunder, Lemberger, Gewürztraminer und natürlich auch Rieslinge aus Deutschland. Dafür keinen Bordeaux, keinen Barolo und keinen kalifornischen Chardonnay. So etwas hatte es in deutschen Spitzenrestaurants bis dahin nicht gegeben. Anders als erwartet protestierten die Gäste nicht. Matthias Dathan: „Die Zeit für deutsche Weine war reif. Gerade in Berlin. Als Hauptstadt setzte sie hier den Trend.“ Inzwischen werden auch im Restaurant „Käfer’s“ im Reichstag nur noch deutsche Weine angeboten.

Die Winzer der Generation Riesling haben nur noch ein Problem: Der Deutschen Vorliebe für trockenen Wein. Nik Weis: „Die Deutschen trinken trockene Weine, weil sie denken, das sei modern.“ In den USA dagegen würde man sich über den Begriff „trocken“ gar keine Gedanken machen. Hier würden viel mehr halbtrockene, fruchtig-süße Weine getrunken. Womit die Amis nach Ansicht von Riesling-Fans ganz richtig liegen. Denn bei vielen Rieslingen sei es nötig, die sehr präsente Säure auszubalancieren. Nik Weis: „Die Süße gehört in meine Rieslinge wie die Kohlensäure in den Champagner.“

Winzer Weis, der 50 Prozent seiner Weine exportiert, würde am liebsten gar keine trockenen Rieslinge produzieren. Um auf dem deutschen Markt präsent zu bleiben, müsse er aber „buchstäblich in den sauren Apfel beißen“. Vielleicht sind es ja einmal mehr die Amerikaner, die auch in dieser Frage für die Deutschen den Trend setzen. Statt des verpönten „Halbtrocken“ könnte man auf das Etikett der schlanken Schlegelflaschen künftig einfach den englischen Begriff schreiben: „Off-dry“.