Anschlag ohne Täter

Aktenzeichen Amia ungelöst: Prozess um Anschlag auf jüdisches Zentrum in Argentinien endet mit Freispruch und ohne Hinweise auf Hintermänner

AUS BUENOS AIRESINGO MALCHER

Drei Jahre lang wurden Zeugen gehört und Gutachten verlesen, es wurden Richter abgesetzt und angeschwärzt, Zeugen gesucht und Verdächtige versteckt. Am Ende war es der längste Strafprozess in der argentinischen Rechtsgeschichte – und heraus kam am Donnerstagabend ein Freispruch. Sämtliche Angeklagten die verdächtigt wurden, an dem Anschlag auf das jüdische Kulturzentrum Amia in Buenos Aires im Jahr 1994 beteiligt gewesen zu sein, wurden vom Gericht freigesprochen.

Das Attentat auf die Amia war der schlimmste antisemitische Anschlag, den Argentinien jemals erlebt hat. 85 Menschen starben in den Trümmern des Gebäudes im Zentrum der Stadt, über 300 wurden verletzt, als vor der Tür der Amia in einem Transporter eine Autobombe explodierte.

Bei den Angehörigen bleibt ein Gefühl von Ohnmacht und Unverständnis zurück. „Dies ist einer der traurigsten Tage, die wir erlebt haben“, sagte Diana Malamud, Sekretärin der Angehörigenorganisation Memoria Activa, im Gerichtssaal. „Wir haben auf miserable Weise zehn Jahre verloren und wissen heute nichts Neues über den Fall.“

Malamuds Organisation hatte in dem Prozess, wie die Staatsanwälte, lebenslängliche Haft für den Hauptangeklagten Carlos Telleldín und seine Bekannten gefordert. Telleldín soll den Transporter für die Bombe präpariert haben. Mit ihm angeklagt waren vier ehemalige Polizisten, die bei der Operation behilflich gewesen sein sollen.

Das Gericht fand hierfür jedoch keine Beweise. Dabei hat Telleldín in einem Verhör im Jahr 1996 selbst zugegeben, den Transporter umgebaut zu haben. Er hat damals auch gesagt, dass er den Wagen später den Polizisten übergeben habe. Die Staatsanwaltschaft vertrat die Ansicht, dass die Polizisten den Wagen dann an die Attentäter weitergereicht hätten. Allein einen Beweis dafür konnten sie nicht vorlegen.

Vollends undurchsichtig wurde der Fall, als herauskam, dass Telleldín für diese Aussage aus der Kriegskasse des Geheimdiensts 400.000 Dollar bezahlt wurden. Doch damit nicht genug: Der Antrag zur Zahlung wurde von dem inzwischen nicht mehr in dem Fall aktiven Vorsitzenden Richter gestellt und von dem damaligen Geheimdienstchef genehmigt. So ist das Urteil auch eher ein Im-Zweifel-für-die-Angeklagten als ein richtiger Freispruch. Die Richter wiesen am Donnerstag auf die lange Liste von schweren Verfahrensfehlern hin und ordneten an, zahlreiche Verantwortliche zu untersuchen. Darunter den einstigen Vorsitzenden Richter Juan José Galeano, den ehemaligen Innenminister Carlos Corach und dessen Geheimdienstchef.

Fraglich ist nur, ob es dann gelingen wird, den Fall aufzuklären. Weiterhin bleibt eine Frage unbeantwortet: Wer stand hinter dem Anschlag? Telleldín wollte nie sagen, wer ihn dafür bezahlt hat, dass er den Renault Traffic umgebaut hat. Obwohl Filmaufnahmen auftauchten, die zeigen, wie sich der einstige iranische Kulturattaché nach genau einem solchen Wagen bei einem Händler erkundigte, wie er bei dem Anschlag verwendet wurde, lud ihn das Gericht nicht vor.

Aber dies blieb nicht die einzige Ungereimtheit in dem Fall. Mehrere Sachbücher haben sich mit den zahlreichen Widersprüchen beschäftigt und Vermutungen angestellt. Zeugen waren unauffindbar, obwohl sie im Telefonbuch standen. Eine Spur, die nach Syrien führte und auf den damaligen Präsidenten Carlos Menem hindeutete, wurde nie verfolgt. Irans Geheimdienst war lange Zeit als Auftraggeber des Anschlags im Verdacht. Während der Ermittlungen verschwanden Beweise für immer. So war der Amia-Prozess nicht nur der längste der Geschichte des Landes, sondern auch einer, der wegen einer Serie von Ungereimtheiten und Mauscheleien einmalig war.

Als Fazit bleibt: Die Attentäter haben allzu sauber gearbeitet, alle Spuren sind vernichtet. Das AMIA-Attentat bleibt ungelöst