Ohrfeigen für Volksvertreter

Die eher radikalere Linke: Lisa Politt und Gunter Schmidt sind zusammen „Herrchens Frauchen“. Mit ihrem neuen Programm „Vorübergehend weggetreten“ kämpfen sie unverdrossen gegen Resignation und den Rückzug ins Private

von Dirk Seifert

Wie schaffen die das eigentlich? Vor einem Jahr haben Lisa Politt und Gunter Schmidt vom Schauspielhaus die Spielstätte am Steindamm übernommen und daraus das Polittbüro gemacht. Quasi aus dem Boden gestampft haben die beiden auch als Herrchens Frauchen bekannten Kabarettisten einen Spielplan, der sich sehen lassen konnte. Mit der monatlichen Vers- und Kaderschmiede, betreut von Thomas Ebermann, hat sich inzwischen im Polittbüro außerdem ein Ort etabliert, in dem eher radikalere Linke mit und über Kultur diskutieren. Und dann bekam Lisa Politt schließlich – als erste Frau überhaupt – den Deutschen Kabarettpreis 2003 verliehen.

Als wäre das alles nicht schon genug, gibt es nun mit Beginn der neuen Spielzeit auch noch die Premiere des neuen Stücks von Herrchens Frauchen. Vorübergehend weggetreten ist überaus politisch, höchst aktuell und handelt von der Frage, wie damit umzugehen ist, wenn man mit der eigenen Meinung immer mehr allein dasteht: Wo werde ich wie zum Sektierer und wo zum Angepassten, und wie lebt es sich dann so? Bei Lisa Politt klingt das so: „Was ist von einem Volk zu halten, in dem jedes zweite Mädchen als Berufswunsch ‚Barbara Salesch‘ angibt und jeder vierte Mann im falschen Körper geboren wird?“ Und warum sollte man im Angesicht von Arbeitslosengeld II den Glauben an das Gute in diesem Land verlieren, wenn man sich doch dem Jammertal des Arbeitslosendaseins einfach durch die Gründung einer Ich-AG auf vorzügliche Weise entziehen kann? Endlich der eigene Chef und die Taschen voller Geld.

Herrchens Frauchen bleiben nicht dabei stehen, den Zynismus neudeutscher Reform-Alltäglichkeiten aufzudecken. Lisa Politt wundert sich: „Wird es bei Ohrfeigen für die Volksvertreter bleiben?“ So soll das neue Programm auch gegen „Lethargie und Resignation“ als Anzeichen für den „Rückzug ins Private“ ankämpfen. Hängen lassen ist bei Herrchens Frauchen ebenso wenig drin wie bei den Sozialreformen. Da es nicht immer leicht ist, in all den Unübersichtlichkeiten den Durchblick zu behalten, gibt es jede Menge praktische Tipps gegen den persönlichen oder sozialen Untergang. Beispielsweise was zu tun ist, wenn der „eigene Körper aus reiner Pampigkeit den Dienst versagt“ oder man keinen Bock mehr auf den Chef hat. Und allemal hilfreich ist es, wenn Lisa Politt erklärt, wie der „Mann als Kostenfaktor“ tatsächlich zu bewerten ist.

Die Musik ist, wie bei Herrchens Frauchen üblich, zwar vor allem dazu gedacht, die Texte zu unterstützen. Das aber schafft sie mühelos, wenn zum Beispiel Politt zu den Beats des Queen-Klassikers „We will Rock you“ den von Georg Danzer verfassten und in den frühen 80er Jahren für die hiesige Friedensbewegung wichtigen Protestsong „Aufstehen“ satirisch so verdreht: „Alle die, die finden, dass Ausländer hier ruhig wählen sollen, wenn sie wirklich deutsch denken, sollen aufstehn.“

„Zum Schluss“, so verspricht Lisa Politt, „werden alle fröhlich singend Arm in Arm nach Hause gehen. Bestimmt.“

Herrchens Frauchen: „Vorübergehen weggetreten“, 7.–26.9 im Polittbüro, Steindamm 45, Eintritt 12,50 Euro, Ermäßigt 10 Euro. Die morgige Premiere ist bereits ausverkauft