Gysi gibt den Oskar

Eine Woche nach Lafontaine mischt sich auch der Popstar von der PDS unter die Montagsdemonstranten. „Ihre Demonstrationen sind nicht sinnlos“, ruft er beim Auftakt im sachsen-anhaltischen Hettstedt. Die Zuhörer sind begeistert

AUS HETTSTEDTSASCHA TEGTMEIER

Ein paar Sekunden lang ist es still auf dem Marktplatz in Hettstedt. 1.000 Augenpaare richten sich auf einen kleinen Mann mit grauem Anzug und roter Krawartte, der auf die Ladefläche eines kleinen Lieferwagens steigt. Es ist Gregor Gysi, der sich hinter den Mikrofonständer stellt und sich damit in sein Element begibt. Er beginnt nicht einfach nur zu sprechen, vielmehr hämmert er mit der linken Hand die Wortsilben in die Luft. Immer stärker – denn er spürt, dass schon die ersten Worte ihre Wirkung nicht verfehlen.

Er redet sich in Rage, fuchtelt mit beiden Armen. „Es geht nicht um Ost und West“, ruft er in das Mikrofon, „es geht um Oben und Unten, um Arm und Reich.“ Er neigt sich ein wenig vor, in Richtung seiner Zuhörer, die sich auf dem kopfsteingepflasterten Marktplatz des sachsen-anhaltischen Hettstedt versammelt haben. Es ist Montag und damit auch in dem 16.000-Seelen-Städtchen der Termin des Protests gegen die Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung.

Die Organisatoren der zweiten Montagsdemo haben eigens für ihren prominenten Redner die Kundgebung auf 15 Uhr vorverlegt – denn schon zwei Stunden später muss Gysi in Dessau und danach in Magdeburg sein. In Hettstedt sagt Gysi vor allem eines: Ich bin einer von euch. Ich verstehe euch. Damit trifft er die Seele der Hettstedter. Jeder Vierte von ihnen ist arbeitslos. Jugendliche wohnen hier kaum noch, denn Jobs gibt es hier keine.

Gysi ist der zweite Prominente, der sich vor die Montagsdemonstranten stellt und gegen Hartz IV wettert. In der vergangenen Woche hatte Oskar Lafontaine vor 20.000 Menschen auf dem Leipziger Augustusplatz die Politik seines früheren Freundes Schröder detailreich verurteilt. Die Rhetorik Gysis in Hettstedt funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie die Lafontaines. Es ist ein Wechsel zwischen Zahlenbeispielen zu Hartz IV und allgemeinen, eher moralischen Aussagen. „Auch der Kapitalismus hat Gesetze, die man beachten muss“, ruft Gysi über den Marktplatz. So etwas kommt an, auch wenn die versammelten Hettstedter nicht genau wissen, welche Gesetze das sein sollen. „Jawoll“, bricht es aus einem älteren Mann mit tätowierten Oberarmen heraus.

Richtige Alternativen werden auch bei Gysi vor lauter Schwarz-Weiß- und Arm-Reich-Malerei nicht deutlich. Es geht um Stimmung. Der Ton ist aufgeregt, und doch gibt sich Gysi verständnisvoll wie ein Vater für die Probleme des Volkes. „Gregor hat das Richtige gesagt, wie immer“, sagt denn auch einer der Veranstalter, Stefan Gebholdt. Vor zwei Wochen hatte er Gysi „einfach mal eingeladen“. Er ist Landtagsabgeordeter der PDS und wird bei der Organisation von der PDS-nahen Jugendvereinigung „Rote Füchse“ und dem DGB unterstützt.

Ein bisschen stolz sind in Hettstedt alle, dass der Prominente gekommen ist. „Endlich sagt mal einer, was wir denken“, sagt Frank Schlanstedt. Der gelehrnte Dreher ist seit 1997 arbeitslos. Er hat ein Plakat in der Hand. „Ein Sparvorschlag: Spart nicht beim Volk die Moneten, sondern kürzt euch die Diäten“, steht darauf. Das sagt auch Gysi – nur mit anderen Worten. Und immer wieder baut er die Demonstranten auf. „Ihre Demonstrationen sind nicht sinnlos“, sagt er. Das tut den Hettstedtern gut.

Als Gregor Gysi in seinen Dienstwagen steigt, ist es, als würde ein Rockstar davonfahren. Eine ältere Frau mit weißem Haar läuft noch schnell zu seiner Autotür, und Gregor gibt ihr ein Autogramm auf den Arm. „Ich werde mir nicht mehr den Arm waschen“, sagt die Frau hysterisch.