Prophetische Züge

Mit dem lange verschollenen Film „Die Stadt ohne Juden“ startet heute im Metropolis die Reihe „Jüdische Lebenswelten in Spielfilmen“

von DAVID KLEINGERS

Es herrscht Rezession in Utopia. Die wirre wirtschaftliche und politische Gemengelage wird von antisemitischen Politikern für eine Kampagne gegen die Bevölkerung jüdischen Glaubens genutzt. Ihren Höhepunkt findet sie in einem Parlamentsbeschluss, der die Ausweisung aller Juden aus Utopia anordnet.

Diese Apokalypse ist der Aufhänger für den 1924 gedrehten Stummfilm Die Stadt ohne Juden von Hans Karl Breslauer. Basierend auf dem gleichnamigen Roman des streitbaren Publizisten Hugo Bettauer, der in seinen Magazinen immer wieder gegen die reaktionären Kräfte Österreichs polemisierte, markiert der Film den Auftakt für die Reihe „Jüdische Lebenswelten in Spielfilmen“ im Metropolis. Bis zum 3. Dezember wird die Kinemathek Hamburg gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Juden in Deutschland und der Landeszentrale für politische Bildung sechs Spielfilme aus Deutschland und Österreich zeigen, die eine Diskussion über fiktive Repräsentationen jüdischer Erfahrung anstoßen sollen.

Flankiert werden die Vorführungen durch Vorträge namhafter Film- und Kulturwissenschaftler. Heute Abend referiert Frank Stern von der israelischen Beer Sheva Universität seine Einschätzung des ebenso kostbaren wie prekären Fundstücks. Erst 1991 wurde ein umfangreiches Fragment dieses verloren geglaubten „Tendenzfilms“ im Nederlands Filmmuseum entdeckt, welches die Grundlage für eine aufwendige Restaurierung durch das Filmarchiv Austria lieferte. Hier erschien im Jahr 2000 auch ein überaus empfehlenswerter Begleitband zum Film. Darin beleuchten die Herausgeber Guntram Geser und Armin Loacker die Produktionsgeschichte ebenso wie die zeitgenössische Rezeption des Stoffes, wodurch ein kritischer und ambivalenter Dialog mit dem Werk eröffnet wird.

Denn kaum ist das Unrecht geschehen, bricht im nunmehr „arisierten“ Utopia das Chaos aus: Wirtschaft und Kultur erlahmen, und nur die Rückkehr der Juden rettet die sagenhafte, aber unschwer als Österreich erkennbare Republik vor dem Untergang. Soweit die positive, parabelhafte Lesart des Films.

Doch dramaturgisch greift Breslauers Wiener Melange aus politischer Satire, sentimentalem Drama und volkstümlicher Komödie oft auf antisemitische Stereotypen zurück: Die jüdischen Bewohner Utopias bewegen sich im Gegensatz zum bodenständigen Alpenvolk sicher in der modernen Kapital- und Industriegesellschaft, ihre vermeintliche Traditionslosigkeit erleichtert das Exil in London oder „Zion“, und auch in Gesten und Mimik werden viele Charaktere entsprechend den zeitgenössischen Konstruktionen von Rasse ausgestellt.

Hier offenbart sich im Gegensatz zu Bettauers Romanvorlage die Crux des gleichermaßen formalen wie ideologischen Bilderzwangs, der ständig Definitionen des „Anderen“ produziert. So befördert Die Stadt ohne Juden in vielen Passagen jene Klischees, die das Buch mit seinem polemischen Kolportagestil entlarvt. Dennoch bleiben natürlich die beängstigend prophetischen Züge des Films, in dem übrigens ein noch unbekannter Hans Moser als antisemitischer Rat Bernart reüssiert: Auf die Frage: „Warum ausgerechnet die Juden?“, antwortet er: „Das werden Sie sehen, wenn sie weg sind.“

Hugo Bettauer hat das nicht mehr erlebt: Als populäres Ziel rechter Hetze wird er am 10. März 1925 vom Zahntechniker und NSDAP-Parteigänger Otto Rohstock niedergestochen. Er stirbt 16 Tage später.

heute, 19 Uhr, Metropolis. Die Reihe wird fortgesetzt, Programm unter www.metropoliskino.de