jazzkolumne
: The Bad Plus, Esbjörn Svensson, Bugge Wesseltoft

Die alternative Kleiderordnung

In New York waren sie der Hype dieses Sommers: das Pianotrio The Bad Plus. Spätestens als der Jazzjournalist Gary Giddins eine ganze Seite in der Village Voice über die Band schrieb, war klar, dass das Trio für einen Award der Jazzjournalistenvereinigung nominiert werden würde. Giddins sollte bei der gleichen Zeremonie für sein Lebenswerk ausgezeichnet werden.

So war es dann auch. Neben Wayne Shorters Quartett und Keith Jarretts Trio waren The Bad Plus die Kandidaten für den Preis als Gruppe des Jahres – wobei es auch blieb. Weiter wollten die Kritiker dann doch erst mal nicht gehen.

Der Bassist Reid Anderson, der Schlagzeuger David King und der Pianist Ethan Iverson kennen sich schon seit fast zwanzig Jahren, seit 1989 spielen sie regelmäßig zusammen. Doch richtig kennen tat man sie bisher kaum. „These Are The Vistas“, ihr erstes Album für den Major Columbia, ist eine Mischung aus Eigenkompositionen und Coverstücken: Am auffälligsten ist ihre Version von Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“.

Die drei wuchsen in Wisconsin auf und verstanden sich schon früh als kleine Protestbewegung gegen den Mief ihrer Elternhäuser. Wer sich wie Iverson mit Glatze und Krawatte stylt, sei in dem Dorf, wo er herkommt, schon per se ein Außenseiter, wird berichtet. In eigenen Aussagen bekunden sie, dass sie a) sehr viel Wert auf Gruppendynamik und Basisdemokratie legen, dass es b) keinen Leader gibt, sondern c) Vorschläge, die gemeinsam diskutiert werden.

Dass sich der schwarze Publizist Stanley Crouch nun in einem Anfall von dialektisch geschulter Paranoia in seiner Idee bestätigt sieht, die weiße Jazzkritik suche in Musik vor allem nach Zeichen der Rebellion, und indem er zugleich die weißen New Yorker Kritiker mit ihrem Bad-Plus-Hype des Rassismus bezichtigt, das lässt das Trio allerdings eher kalt. Wie nahe liegend dieser Vorwurf auch sein mag, die Musik von The Bad Plus diskreditiert er ja ohnehin nicht.

Aber tatsächlich tendieren weiße Jazzmusiker eher zum Alternativlook, und wenn der schwarze Schriftsteller Albert Murray sagt, der größte Hurensohn im ganzen Land sei braunhäutig, gut ausgebildet und gut gekleidet, hat man sofort die entsprechenden Bilder von Wynton Marsalis oder Harry Belafonte im Kopf. Denn alles andere sei Rockzirkus, murmelt Crouch, nichts als Marketinghülsen des Popbusiness. Wer in angegammelten Freizeitklamotten ein Konzert gibt, beleidige das Publikum.

Der schwedische Pianist Esbjörn Svensson sieht das alles ganz anders. Sein Bühnen-Styling besteht aus T-Shirt, Jeans und Pumas. Und das sei alles wohlüberlegt und ausdiskutiert, sagt Svensson, Jahrgang 1964, denn er wolle vor allem eins nicht: wirken wie alter Jazz. Sondern so schlicht und unkonventionell wie möglich.

In dem kleinen Übungsraum in seinem Stockholmer Haus komponiert Svensson die schönsten Melodien, die man im Jazz seit langem gehört hat. Gerade ist er von einer mehrwöchigen USA-Tournee zurück, wo er mit seinem Trio E.S.T. als Vorgruppe von K. D. Lang in großen Hallen spielte. Svensson mag Jazz, vor allem den Pianisten Brad Mehldau. Das Größte, was er allerdings in den USA jetzt gesehen habe, sagt er, sei ein Konzert mit Ringo Starr gewesen. Der habe sich auch völlig bescheiden und unspektakulär gegeben, keine Allüren eben, die den Musikgenuss vernebeln.

Svensson wurde schon mehrfach, besonders in England und Deutschland, dafür ausgezeichnet, dass er eine besonders verführerische Form von neuem Jazz spielt, inklusive einem äußerst bühnentauglichen Mix aus Piano- und Electronic-Sound. Seine CD „Seven Days of Falling“, die gerade bei ACT erschienen ist, ist nicht nur sein bislang stärkstes Album, es ist auch eine der besten Platten, die dieses Jahr bisher gesehen hat.

Ganz anders als „New Conception of Jazz Live“ (Jazzland), die neue CD von Bugge Wesseltoft. Schwer und doch schwebend, so wie man es von der ach so hippen norwegischen Szene nun schon seit Jahren kennt, schleppt Wesseltoft die Sounds über die Zeit. Zusammen mit der Sängerin Sidsel Endresen hat er zwar mit „Out Here. In There“ eine der schönsten CDs des vergangenen Jahres gemacht – allerdings nur im Hintergrund agierend, als Partner.

Doch hier geht es um eine andere Seiten des Soundmixers und Keyboarders. Als Solist bringt Wesseltoft vor allem einfach strukturierte und zeitraubende Impressionen, Statements zu unlängst noch hochgepriesenen Experimenten und was von ihnen geblieben ist. Also: elektroakustische Mischsounds aus Jazz und elektronischer Musik. Auch der Track mit John Scofield hilft da nicht wirklich weiter.

Es ist ein starrer Blick, den Wesseltoft auf die kleine Box richtet, aus der die stromgenerierten Klänge kommen. Dass er die Protagonisten der Berliner Electronic-Szene und ihre Experimente mit zeitgenössischer Musik und frühem Techno als hippe Ideengeber lobt, reicht auf Dauer einfach nicht. Das neue Jazzkonzept des Bugge Wesseltoft ist nach wenigen Platten zu einem Remake weniger vertrauter Codes geronnen. Noch bevor der Jazz das Konzept sprengen konnte, blieb die Diskursfähigkeit auf der Strecke.

CHRISTIAN BRÖCKING