Reise in die Kolonialgeschichte

Die Stadt als Bühne: Auf der Black Berlin City Bus Tour wird der Geschichte der Schwarzen in Deutschland nachgespürt. Allerdings nicht nur als klassische Stadtführung, sondern als Tanz

VON WALTRAUD SCHWAB

Im Selbstverständnis der Berliner komme eines nicht vor, meint Twana Rhodes: dass die Stadt – wie London, wie Paris – auch Metropole einer Kolonialmacht war. Rhodes sagt es während der „Black Berlin City Bus Tour“ – der Busfahrt auf den Spuren der schwarzen Geschichte Berlins. Denn Orte wie die Mohrenstraße, der Garnisonsfriedhof, das Nelson-Theater verraten, wenn auch erst auf den zweiten Blick, dass da was war mit Afrika. Rhodes, eigentlich Jazz-Sängerin, ist die Begleiterin der Tour. Mit leichtem Charme hält die in Berlin lebende Texanerin die Reisenden bei Laune.

Die „Black Berlin City Bus Tour“ wird im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Black Atlantic“ im Haus der Kulturen der Welt organisiert. Der Titel verweist darauf, dass der Atlantische Ozean – als Negation der Kontinente – dennoch ein Ort ist. Einer, den Menschen überquerten, die in ihrem Gepäck mitunter nichts hatten außer ihrer eigenen Kultur. Der Atlantik setzt das Afrikanische, Europäische und Amerikanische seit mehr als 500 Jahren auf mitunter schmerzhafte Weise miteinander in Beziehung. Dieser Ozean, so erzählten sich vor allem die Schwarzen, sei salziger als alle anderen Ozeane. Es läge an den vielen Tränen, die in ihn hineingeweint wurden. Gemeint sind vor allem die Tränen der Sklaven.

Die Fenster des Busses, der die Tourteilnehmer und -teilnehmerinnen nun durch Berlin und an jene Orte kutschiert, die als verstecktes Gedächtnis einer kolonialen Vergangenheit und schwarzer Kultur gewertet werden können, sind blind. Wer drinsitzt, verliert innerhalb kürzester Zeit seine Orientierung. Ein Sklavenschiff ist der Bus. Die laute Lüftungsanlage wird in der Fantasie zu schweren Wogen, die an den Rumpf schlagen. Twana Rhodes, die Reiseleiterin, hebt mit ihrer den Mitfahrenden zugewandten Art dieses zu strenge pädagogische Konzept des künstlerischen Chefs Ismael Ivo auf.

Ivo – viel gefragter Choreograf des Hauses der Kulturen der Welt – drückt der Tour, die keine Stadtführung im klassischen Sinne ist, seinen Stempel auf. Denn die einzelnen Stationen, an denen der Bus hält, werden als Plattformen benutzt, auf denen Ivo mit seiner Tanztruppe Choreografien zeigen kann, die die Geschichte der Orte reflektieren.

Die Reise beginnt am Haus der Kulturen der Welt. Dieses, so die Selbstwahrnehmung der Veranstalter, bringt dem Berliner Publikum seit Jahren schwarze Kunst und Ausdrucksformen nahe. Entsprechend symbolisch umtanzen die vier dunkelhäutigen Tänzer und zwei Tänzerinnen sechs rote Ölfässer. Sie verstecken sich mitunter darin; sie befreien sich daraus; sie benutzen sie als krachmachende Requisite, die ihrer Wut und ihrem Triumph Ausdruck verleiht.

Nächste Station ist die Mohrenstraße. Sie wurde nach den Schwarzen benannt, die Friedrich Wilhelm I. um 1700 von den Niederlanden als Geschenk erhielt. Er ließ sie in seiner Militärkapelle Schellenbäume spielen. Die Mohrenstraße liegt unweit des Ortes, wo die Kolonialmächte auf der „Kongokonferenz“ Afrika untereinander aufteilten. Die Performance der Ivo-Truppe, die auf dem an die Straße angrenzenden Gendarmenmarkt gezeigt wird, thematisiert den Weg der Schwarzen von der Sklaverei bis hin zur Vermischung der Herkunftskultur mit der des Landes, in dem ihre Nachkommen gestrandet sind. Vom Schellenbaum zum Jazz, von der animistischen Religion über die Rolle des Hofnarren bis hin zur Mater Dolorosa gibt es – so lässt es die Tanzperformance vermuten – eine direkte kulturelle Verbindung.

Die Fahrt von einer Station zur nächsten wird von Rhodes, der Reiseleiterin, mit Gedichten und Liedern verkürzt. Mit „Strange Fruit“ von Billie Holiday etwa. Singend steht sie im Gang des Busses. Ihre körperliche Präsenz macht es unmöglich, sich den ungeheuerlichen Bildern von den besungenen seltenen Früchten am Baum – den aufgehängten Schwarzen – zu entziehen.

Der Garnisonsfriedhof in Neukölln ist die nächste Etappe. Dort gibt es einen Gedenkstein für die in den Kolonialkriegen gefallenen Soldaten. Für die mehreren zehntausend Herero, die von den Deutschen in die Wüste getrieben wurden und dort verdursteten, gibt es in Berlin keine offizielle Erinnerungsstätte. Dieser Genozid ist das dunkelste Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte. Vor dem Stein auf dem Friedhof tanzt die Truppe die bittere Geschichte dieses afrikanischen Volkes.

Weiter geht es zum ehemaligen Nelson-Theater am Kurfürstendamm 217, in dem heute ein Bekleidungsgeschäft ist. Josephine Baker trat dort auf. Die Dekadenz der 20er- und 30er-Jahre, in der Schwarze als Unterhaltungskünstler in Berlin eine große Rolle spielen – wenngleich nach heutigen Maßstäben gespickt mit rassistischen Klischees –, wird von der Tanzkompanie auf dem Trottoir perfekt inszeniert.

Die melancholische Reise, auf der die Stadt die Bühne ist, endet am Haus der Kulturen der Welt. Dort setzten die schwarzen Tänzer und Tänzerinnen sich selbst ins Licht und ernten dafür Applaus.

Karten unbedingt reservieren unter Tel. 39 78 71 75