BEIM UMSTRITTENEN SAALE-AUSBAU WERDEN ERST MAL FAKTEN GESCHAFFEN
: Ein leider zeitgemäßes Projekt

Bestand das Wesen der Politik früher darin, unterschiedliche Positionen zur Abstimmung zu stellen, geht es ihr heute darum, unterschiedliche Interessen mit einem Konsens zu befrieden. Gesucht wird also immer der kleinste gemeinsame Nenner. Unangenehmer Nebeneffekt: So richtig zufrieden ist niemand.

Insofern ist der Bau eines Saale-Seitenkanals zeitgemäß – nämlich der kleinste gemeinsame Nenner zwischen ökonomischem Interesse und ökologischem Reichtum. 50 Millionen Euro wurden in den letzten Jahren einerseits in die Schiffbarkeit der Saale investiert. Andererseits ist der 220 Hektar große Auenwald an der Mündung zur Elbe wegen seiner Einzigartigkeit Unesco-Biosphärenreservat. Genau in diesem Reservat aber ist die Saale noch nicht ausgebaut. Ein 20 Kilometer langes Teilstück fehlt, weshalb der Fluss als Wasserstraße praktisch nicht nutzbar ist.

Fracht von der Straße auf das Schiff zu verlagern ist aber durchaus ökologisch. Billiger ist es obendrein. Der Saale-Seitenkanal – ein vernünftiger Konsens? Die Crux hat gar nichts mit der Saale zu tun. Denn Schiffe, die Soda, Salz, Getreide oder Baustoffe von oder nach Halle, Bernburg oder Merseburg transportieren, müssen naturgegeben über die Elbe schwimmen. Die aber ist launisch, wie wir wissen. In Magdeburg, wo der Pegel normalerweise bei knapp zwei Meter liegt, werden aktuell 87 Zentimeter gemessen.

Sachsen-Anhalt hat jetzt Fakten geschaffen. Mit der Eröffung eines Raumordnungsverfahrens ist der Kanalbau praktisch eingeleitet. Die berühmte Salamitaktik: Fakten schaffen, um dann neue Argumente zu haben. In Zeiten, wo die Ökonomie das Primat gegenüber der Ökologie zurückgewonnen hat, ist die Sorge der Umweltschützer also berechtigt. Denn der Bau des Saale-Kanals ist nur wirtschaftlich, wenn auch die Elbe ausgebaut wird. Doch dieses ökologische Horrorszenario ist derzeit nur Fiktion. Niemand weiß, wie die Saale-Millionen aufzutreiben wären. Da braucht man über die Elbmilliarden gar nicht erst zu reden. Zum Glück ist auch das zeitgemäß. NICK REIMER