Tony Blair hat’s mit Gentech schwer

Trotz jahrelanger Pro-Gentech-Kampagne wollen die Briten nicht wie ihr Premier: Sie trauen der Sache nicht über den Weg

BERLIN taz ■ Schwellenwerte für gentechnisch veränderte Lebensmittel, Kennzeichnungsvorschriften, Regularien für die Langzeitbeobachtung transgener Pflanzen: EU-Kommission und -Parlament haben gesetzliche Voraussetzungen geschaffen, um das seit fünf Jahren laufende Moratorium für den kommerziellen Anbau von Gentech-Pflanzen zu beenden. Das Haupthindernis konnten sie nicht ausräumen: fehlende öffentliche Akzeptanz.

Die britische Regierung unter Tony Blair hat versucht, Gentech-Lebensmittel der Bevölkerung schmackhaft zu machen. Und, so die aktuellen Ergebnisse, er ist gescheitert. Auf über 600 regionalen Tagungen wurde in Großbritannien im Juni und Juli das Für und Wider der Grünen Gentechnik diskutiert. Über das Internet war die Bevölkerung aufgerufen, ihre Meinung kundzutun. Vor wenigen Tagen wurde die Auswertung veröffentlicht: Lediglich zwei Prozent der 40.000 Einsender äußerten sich ohne Einschränkung positiv zur Grünen Gentechnik: „Wir wären glücklich, wenn wir Gentech-Food essen könnten.“

Über 90 Prozent haben Vorbehalte: Es sei zu wenig erforscht, welche gesundheitlichen und ökologischen Folgen Genfood hätte. Häufigster Einwand war jedoch, dass künftig aufgrund der zu erwartenden Gentech-Kontaminationen kein Ökolandbau mehr möglich sei oder keine gentechfreien Waren mehr angeboten werden können. Es ist jedoch kein endgültiges Nein der Öffentlichkeit. Doch bevor der kommerzielle Gentech-Anbau erlaubt werde, sollten diese Fragen geklärt werden, so die vorherrschende Meinung der Teilnehmer.

Das Befragen der Öffentlichkeit war die letzte Phase einer jahrelangen Kampagne, an deren Ende die Regierung festlegen will, ob der kommerzielle Anbau von Gentech-Pflanzen in Großbritannien erlaubt werden soll. Vorausgegangen waren Feldversuche mit Gentech-Pflanzen, die dazu dienen sollten, wissenschaftlich zu klären, ob von den Pflanzen Gefahren ausgehen und welchen ökonomischen Nutzen sie haben.

Blair, der sich häufig begeistert über Grüne Gentechnik äußerte, kann mit dem Ergebnis nicht zufrieden sein. Es herrscht Skepsis vor. Risiken seien nicht auszuschließen, und ein gesellschaftlicher Nutzen der derzeit verfügbaren Gentech-Pflanzen sei nicht erkennbar.

Ursprünglich wollte Blair noch in diesem Herbst seine Entscheidung bekannt geben. Jetzt, heißt es, sei der Termin auf Anfang 2004 verschoben. Währenddessen formiert sich auch auf lokaler Ebene Widerstand. Nachdem schon die Verwaltung von South Gloucestershire sich zur gentechfreien Zone erklärte, folgte jetzt die Stadt Bristol mit einem entsprechenden Beschluss. Auch die schottische Regierung hat schon kundgetan, dass sie alles tun werde, um den Anbau von Gentech-Pflanzen zu verhindern.

Ein Streit mit der EU-Kommission scheint unausweichlich. Sie hat klar gemacht, dass sie gentechfreie Zonen in der EU nicht akzeptieren werde. Österreich, das Gentech-Pflanzen aus dem Land verbannen wollte, hat mit seinem Vorstoß schon eine Niederlage in Brüssel einstecken müssen. WOLFGANG LÖHR