Neue Runde im Wettlauf der Schäbigkeiten

Die restriktive deutsche Drittstaatenregelung wird sicherlich in Zukunft häufiger kopiert. Ohne Einzelfallprüfung könnten danach europaweit Grenzbehörden die Zurückweisung in vermeintlich sichere Drittstaaten praktizieren

Der Grundtenor: schnellere Asylverfahren, mehr Lager, effizientere Abschiebungspraktiken

Seit Mai 1999 ringen die Innenminister der EU um gemeinsame Mindeststandards im Asyl- und Einwanderungsrecht. Pro Asyl und andere Menschenrechtsorganisationen begleiten diesen Prozess intensiv, weil wir in verbindlichen europäischen Regelungen die einzige Chance sehen, dass das Asylrecht künftig nicht mehr zwischen den Einzelinteressen der Mitgliedstaaten zerrieben wird.

In den zähen Verhandlungen zeigen jedoch die meisten Innenminister keinerlei Bereitschaft, restriktive Asylgesetze aufzugeben. Schlimmer noch: Während über gemeinsame Standards gestritten wird, schaffen die Nationalstaaten bereits neue Fakten. In nahezu allen Mitgliedstaaten finden grundlegende Veränderungen des Asylrechts statt. Der Grundtenor: schnellere Asylverfahren, mehr Lager, längere Abschiebungshaft, effizientere Abschiebungspraktiken, teilweiser oder völliger Ausschluss von Sozialleistungen etc. Mit den neuen Gesetzen unterm Arm kehren die Innenminister an den Brüsseler Verhandlungstisch zurück und verwässern den jeweils aktuellen Richtlinienentwurf weiter. Man inspiriert sich wechselseitig bei den Gesetzesverschärfungen und einigt sich auf EU-Ebene schnell und verbindlich auf Maßnahmen, die den Fluchtweg nach Europa versperren. Ein gemeinsames europäisches Asylrecht, das diesen Namen verdient, steht weiterhin aus. In der ersten Etappe der Vergemeinschaftung bis 2004 bewegt sich der asylrechtliche Harmonisierungsgrad nur knapp über null.

Die Bundesrepublik nimmt in dem Kreis der Blockierer Platz eins ein: Kein Land setzte sich so vehement für das alles blockierende Einstimmigkeitsprinzip ein und nutzt es so weidlich, um anvisierte höhere europäische Standards auf deutsches Niveau abzusenken. Gegen alle anderen EU-Staaten verhindert die Bundesrepublik seit Monaten die Annahme der zentralen Richtlinie zum Flüchtlingsbegriff. Die bundesdeutsche Devise: Deutschland zuerst – Europa kann warten und das künftige deutsche Zuwanderungsgesetz zur Grundlage europäischer Standards machen.

Deutschland filetierte gemeinsam mit Österreich die Richtlinie zur Familienzusammenführung, bis die angenommene Fassung nichts mehr mit dem ursprünglichen Ansatz der Kommission gemein hatte.

Die anvisierten hohen Schutzstandards für Flüchtlingskinder erfuhren einschneidende Einschränkungen: Bei den Aufnahmebedingungen setzte Deutschland durch, dass unbegleitete Minderjährige bereits ab 16 Jahren in Aufnahmezentren für erwachsene Asylsuchende untergebracht werden können. Aktuell schraubt Deutschland in der Asylverfahrensrichtlinie den europäischen Standard bei der so genannten Verfahrensmündigkeit von 18 auf 16 Jahren herunter.

Die kinderfeindliche deutsche Praxis entwickelt sich vermutlich via EU-Richtlinie zum Exportschlager für demnächst 25 EU-Staaten.

Auch die deutsche Drittstaatenregelung wird sicherlich in Zukunft häufiger kopiert. War sie bis jetzt die restriktivste, soll sie nun auf EU-Ebene abgebildet werden. Ohne Einzelfallprüfung könnten dann europaweit Grenzbehörden die Zurückweisung bzw. Zurückschiebung in den vermeintlich sicheren Drittstaat exekutieren. Der aktuelle Entwurf sieht auch vor, dass ein Asylsuchender in ein Drittland zurückgewiesen werden kann, ohne dieses jemals betreten zu haben. Darüber hinaus können selbst Staaten, die die Genfer Flüchtlingskonvention nicht ratifiziert haben, als „sicher“ qualifiziert werden. So drohen nun zentrale Aspekte der „britischen Asylinitiative“ doch noch durch die Hintertür realisiert zu werden: Der „Flüchtlingsschutz“ wird weitgehend in Transit- und Herkunftsregionen ausgelagert.

Diese Form der Harmonisierung läutet eine neue Runde im Wettlauf der Schäbigkeiten ein. Sie lässt völkerrechtliche Standards außer Acht, fungiert als negatives Vorbild für andere Regionen und dokumentiert in erster Linie den gemeinsamen Unwillen, Flüchtlinge in der Europäischen Union aufzunehmen.

KARL KOPP