Schweigen in Beton gegossen

Die Wanderausstellung „Was sehen Sie, Frau Lot?“ will das Grauen und die Normalität sexueller Gewalt sichtbar machen. Begleitet ist die Ausstellung von Workshops, Vorträgen und Diskussionen

Von Brigitte Maser

Eine Ausstellung in einer Kirche ist in einer Kulturstadt wie Köln nicht wirklich spektakulär, es sei denn, es betrifft ein gesellschaftliches und politisches Tabuthema. Die Wanderausstellung „Was sehen Sie, Frau Lot?“, die von heute bis zum 26. September in der Trinitatiskirche gezeigt wird, bietet kein leichtes Kunstvergnügen. Die Künstlerinnen Renate Bühn, Heike Pich und Maria Mathieu setzen sich mit ihren Bildern, Objekten und Installationen kritisch mit dem Thema sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen auseinander.

„Seit zwanzig Jahren wird über sexuelle Gewalt geschrieben und diskutiert, aber die Ursachen ändern sich nicht. Wir wollen konfrontieren und erreichen, dass das Grauen und die Normalität der Gewalt sichtbar werden, aber auch die Verletzungen und der Überlebensmut und die Stärken der Betroffenen“, erklärt Renate Bühn das Konzept von „Lobby für Mädchen – Mädchenhaus Köln“ und dem Frauenreferat des Evangelischen Stadtkirchenverbands, die die Ausstellung organisiert haben.

Für viele Mädchen und Jungen gehört sexueller Missbrauch zum Alltag. Und die meisten Opfer erleben die Gewalt dort, wo sie am wenigsten vermutet wird: im scheinbar geschützten Raum der Familie. Maria Mathieu zeigt dies mit ihrer Arbeit „Wiegenlied“ eindringlich: ein weißes Bett mit der Ausstrahlung eines Sarges. Auf dem Laken ist in großen, fetten Lettern zu lesen: „Guten Abend, gute Nacht, mit Rosen bedacht, mit Sternen bedeckt, schlüpf unter die Deck, Morgen früh, wenn er will, wirst du wieder geweckt.“

Genaue Zahlen zum Missbrauch gibt es nicht, denn er bleibt in der Regel geheim und wird auch in der Öffentlichkeit nach wie vor tabuisiert und vorrangig als innerfamiliäre Angelegenheit abgetan. Die Künstlerinnen wollen gesellschaftspolitisch Stellung beziehen und den Mechanismus des Wegsehens und Nichthandelns durchbrechen. In der Installation von Renate Bühn hängen im Kirchenraum 2.000 rosa Krawatten von der Decke. Der Titel der Arbeit, „2000=100=15=3=10=2“, ist eine Gleichung, die die rechtliche Wirklichkeit der Strafverfolgung aufzeigt: Von 2.000 Sexualstraftätern werden nur einhundert tatsächlich angezeigt. Und von denen werden letztendlich auch nur zwei zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt.

Doch öffentliches und familiäres Schweigen duldet und legitimiert sexuelle Gewalt an Mädchen, Frauen und Jungen. Und die Täter können sich durch den juristischen Schutz in Sicherheit wiegen. Die Künstlerin Heike Pich hat dieses Schweigen in Beton gegossen. Ein altersloser Frauenkopf mit geschlossenen Augen und Lippen symbolisiert das Schweigen und Erdulden der Opfer oder das der Mittäterin.

„Für die Betroffenen ist es heute immer noch so, dass ihre Glaubwürdigkeit eher angezweifelt wird. Statt dessen kommen die Täter nach einer Vergewaltigung mit einer relativ milden Strafe davon. Die Tat wird dadurch verharmlost“, kritisiert Frauke Mahr vom Mädchenhaus Köln die laxe Rechtssprechung und den gesellschaftlich verankerten Täterschutz. Die Opfer hingegen müssen ihr Leben lang mit der Gewalterfahrung leben.

Bestandteil der Ausstellung ist auch das Projekt „Ich werde nie wissen welche ich gewesen sein könnte davor“. Dafür sucht Renate Bühn betroffene Frauen und Mädchen, die ihre Geschichte als Text oder als Gedicht aufschreiben und der Künstlerin zuschicken. Ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Workshops, Vorträgen, Lesungen, Diskussionen und Führungen für Gruppen ergänzt die Ausstellung. Betreute Gruppenbesuche für Schulklassen sind nach Absprache im Mädchenhaus möglich.

Trinitatiskirche, Filzengraben 6 in Köln, vom 13. bis 26. September (täglich 14 bis 19 Uhr), Eintritt frei. Weitere Infos zur Ausstellung und dem Projekt „Ich werde nie wissen...“: Mädchenhaus Köln, Tel: 0221/32 92 27, Frauenreferat des Evangelischen Stadtkirchenverbandes, Tel: 0221/ 3382-105, www.Frau-Lot.de