Wider den guten Geschmack

Mit „Alone/Gregoire“ wurden zwei sehr unterschiedliche Performance-Porträts im Malersaal uraufgeführt. Regie führte der Belgier Michael Laub

Frauen in der Krise wollte sie nicht spielen. Was dann?Gregs Tanz bleibt dekorative Vermummung

von Katrin Jäger

Astrid Endruweit würgt. Den Mund halb aufgerissen, zwischen den angespannten Lippen versucht die Zunge ihren Weg nach draußen zu finden. Endlich stößt sie ins Freie, Astrid grinst erleichtert, da schnellt das rote Ungetüm zurück in die Mundhöhle. Das ist eklig, zumal dem Zuschauer dieser Kampf zwischen Willen und autonomer Zunge sich in Großaufnahme abspielt, auf der Leinwand, die wie eine Jalousie mitten im Bühnenraum hängt.

Der Kampf mit dem Zungenmuskel, das ist gleichzeitig komisch. Denn in ihrem Solostück Alone, das am Freitag im Malersaal des Schauspielhauses zur Uraufführung kam, hält die Performerin stets die angemessene ironische Distanz zu dem, was sie macht. Gleichzeitig erzählt sie unverblümt von sich, beispielsweise von ihrem Traum als Mädchen in Ost-Berlin, eine russische Cartoonfigur zu sein, ohne eindeutiges Geburtsdatum und Geschlecht, dafür jedoch mit schwarzen Plüschohren. Die setzt sie auf, und diese schlichte Geste, gepaart mit ein paar klaren Sätzen, öffnet Phantasieräume beim Zuschauen.

Astrid Endruweit macht mit ihrer Abfolge von Videoclips, gespielten Szenen und musikalischen Einsprengseln den Anfang der neuen Konzeptarbeit des belgischen Performancekünstlers Michael Laub: Alle Mitglieder seiner Company erarbeiten ein Performance-Porträt von sich selbst. Endruweit erzählt ihre Verliererinnenbiographie in starken Worten. „Als Kind wollte ich Schauspielerin werden, aber ich wusste nicht, welche Rollen ich spielen wollte. Nur, welche ich nicht spielen wollte: Frauen, die ständig in der Krise sind, oder sich immer betrogen fühlen oder immer nur schwach sind“, erklärt sie und wiegt die Hüften in dem schwarzen Mieder mit viel zu großer Oberweite. So präsentiert die Performerin ihr Scheitern als Kritik an der gängigen Konstruktion von Frauen als Opfer im Film und auf dem Theater. Astrid träumt davon, die schönste aller Filmdiven zu sein, in die alle Männer sich verlieben. „Und ich sage dann nur: Tut mir Leid, was fällt Ihnen ein, was denken Sie sich eigentlich dabei.“ Also alles, was Filmdiven so sagen. Da fällt krachend der schwere rote Theatervorhang von der Decke auf den Boden. Aus den Lautsprechern ertönen die Floskeln im Kanon, legen sich übereinander, untermalt von Endruweits hysterischer Lache.

Die Performerin nimmt dem Divenkonstrukt seine Schwere, führt es heiter ad absurdum. „Wider den guten Geschmack“ leuchtet als Titel auf der Leinwand, als Endruweit selbstvergessen auf dem Boden hockt und konzentriert davon berichtet, wie sie die Fussel ihrer Ballettstrümpfe zwischen den Zehen zu kleinen Dreckwürstchen gerollt hat. In Rückenlage, die Knie neben den Ohren, den schwarzen Rock so hochgezogen, dass die Poritze sichtbar wird, spielt die Frau Trompete, das Instrument starrt zwischen den Beinen heraus provokant ins Publikum. Ein kraftvolles Bild malt Endruweit so mit ihrem Körper, eins, das Sehgewohnheiten aufbricht. Ebenso wie ihre Verwandlung in ihr „Alter Ego“, den alten, grölenden Mann, der alles nur „Scheiße“ findet.

Gegen die kreative Bandbreite seiner Ensemblekollegin konnte Greg Zuccolo mit seinem anschließenden Performanceporträt Gregoire nur schlecht aussehen. Zuccolo quert mit aufwendigen Ballettverrenkungen die Bühne. Die Bewegungen an sich versetzen zwar in Staunen darüber, wozu der menschliche Körper fähig ist. Doch der Tanz bleibt dekorativer Selbstzweck. Dahinter scheint Zuccolo seine Persönlichkeit zu verstecken. Sein Bericht über die Qual, als junger Mann in der Ballettschule gehänselt worden zu sein, von seiner traurigen Kindheit in einem Ort voller Mörder und Kinderschänder irgendwo in British Columbia: All das eröffnet weder Gefühls- noch Phantasieräume. Nur eine Szene seiner Performance erntet einen Lacher: Als Astrid Endruweit, nackig, die Scham mit einem gitarrenförmigen Keyboard verhängt, unvermutet auf der Bühne steht, Knöpfe drückt und plumpe Schlagerrhythmen aus dem Gerät erklingen.

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