Siegen lernen mit Edmund Stoiber

Der neue, alte bayerische Ministerpräsident kündigt an, „auf Bundesebene mitzuwirken“ – und führt aus, dass er den Kurs der Schwesterpartei CDU bei den Sozialreformen nicht mittragen wird. Da hilft kein Abwiegeln: Streit in der Union ist programmiert

aus München JÖRG SCHALLENBERG

Die Wahl war eine reine Formsache. Als gestern Vormittag die Abgeordneten des Bayerischen Landtags über den neuen Ministerpräsidenten abstimmten, wäre allenfalls denkbar gewesen, dass sich angesichts der Zweidrittelmehrheit der CSU der eine oder andere Regierungsabgeordnete enthalten würde – womöglich aus Ärger über den von Edmund Stoiber neu installierten und nicht überall beliebten Fraktionschef Joachim Hermann. Doch zur Zeit läuft einfach alles für den alten und neuen bayerischen Ministerpräsidenten: Er erhielt sämtliche der 124 CSU-Stimmen im Landtag.

Und so eilte Edmund Stoiber frohgemut, aber mit staatstragender Miene ans Rednerpult, um den Blick alsbald von München nach Berlin schweifen zu lassen. Als bayerischer Ministerpräsident, hob er an, trage er „große Verantwortung auch für den Reformprozess, der in Deutschland ansteht. Deshalb werden wir im Bundesrat und auf Bundesebene mit eigenen Vorschlägen aktiv und sehr konstruktiv mitwirken.“ Dieser Satz dürfte für manches Vorstandsmitglied der CDU wie eine Drohung geklungen haben. Denn zuvor hatte Stoiber bereits klargestellt, dass er die am Montag von der CDU beschlossene Umsetzung der Reformpläne der Herzog-Kommission nicht mittragen werde.

Insbesondere das Modell der für jeden Bürger grundsätzlich gleich hohen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung geißelte der CSU-Chef als soziale Ungerechtigkeit: „Wenn der Chef genauso eine Kopfpauschale bezahlt wie der Hausmeister, dann ist das schwierig.“ Diese Schieflage dann durch Steuerzuschüsse auszugleichen, sei „sehr problematisch“. Für ihn ist klar: „An der Basis wird das sicher noch zu heftigen Diskussionen führen.“

Da hat er sicher Recht – doch vorerst wird vor allem an der Parteispitze debattiert. Denn Stoiber attackierte gleich nach seiner Regierungserklärung munter weiter. Bei den Vorschlägen der Herzog-Kommission komme sowohl im Sozial- wie im Rentenbereich „die Förderung der Familien“ zu kurz: „In dieser schwierigen Phase ist die Belastung derer, die Kinder erziehen und für die Rentner aufkommen müssen, zu wenig berücksichtigt.“ Um das zu ändern, werde die CSU im November konkrete Pläne für die Sozialreformen vorstellen. Zuvor aber, so Stoiber, „beschäftigen wir uns mit der Rentenfrage“.

Auch da steht die CSU den Vorschlägen der Herzog-Kommission skeptisch gegenüber. Bayerns Sozialministerin Christa Stewens, die mit Stoiber und CSU-Sozialexperte Horst Seehofer in einer Arbeitsgruppe eigene Eintwürfe erarbeiten wird, hat sich bereits mehrfach gegen die Heraufsetzung des Rentenalters auf 67 Jahre ausgesprochen. Die von Seehofer favorisierte Bürgerversicherung gilt dagegen innerhalb der CSU nicht als mehrheitsfähig – so soll sie Stoiber intern bereits mit deutlichen Worten abgelehnt haben.

Trotzdem bekommen die Christsozialen für ihren Gegenkurs zum Vorstand der Schwesterpartei CDU reichlich Beifall. „Ich sage immer: Von der CSU lernen, heißt siegen lernen“, schrieb Hermann-Josef Arentz, Vorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), gestern früh seiner Partei ins Stammbuch. Arentz hatte ebenso wie der Arbeitnehmervertreter der Unionsfraktion, Karl-Josef Laumann, im CDU-Vorstand gegen die Übernahme der Herzog-Pläne gestimmt. Die CSU, so Arentz, sei sehr erfolgreich bei Wahlen, weil sie „wirtschaftliches und soziales Können miteinander verbinde“.

Auch wenn Stoibers Staatskanzleichef Erwin Huber gestern Nachmittag beschwichtigte – die Diskussion sei keinesfalls mit einem Richtungsstreit zu verwechseln –, so läuft die Auseinandersetzung in der Union durch die schnelle Festlegung der CDU-Spitze auf die Herzog-Pläne doch genau darauf hinaus. Für die CSU bietet ein solcher Streit die Möglichkeit, sich an der Seite des CDU-Arbeitnehmerflügels als das soziale Gewissen der Opposition zu etablieren. Friedrich Merz dürfte zu früh über das „Ende der Sozialdemokratisierung“ in der Union gejubelt haben. Die CSU sei deshalb so erfolgreich, weil sie, zumindest im Sozialbereich, eine große Koalition in sich darstelle, hat ein scharfsichtiger Analytiker vor der Wahl in Bayern erklärt. Nach diesem Prinzip scheint sie jetzt auch im Bund zu handeln.