der weg der wege
: Nach Santiago

Ein Erfolgsweg hat seine Erfolgsautoren. Paulo Coelho verfasste mit dem Bestseller „Der Alchimist“ eine Hommage an die Pilgerschaft als Lebenshilfe. Sein um vieles mystischerer Erstling „Auf dem Jakobsweg“ (Diogenes Verlag, 1999, Neuübersetzung, 270 Seiten, 8,90 €) erschien erstmals in den Achtzigerjahren nach einer Wanderung auf dem spanischen Camino. Wie viele seiner Leser der Brasilianer Coelho in wahrem Gottvertrauen auf die Beine und auf den Weg nach Santiago de Compostela gebracht hat, ist gar nicht abzuschätzen. Für seinen Einfluss spricht eine große Zahl südamerikanischer Pilger. Vor allem jüngere Leute schätzen die spirituellen Übungen, die ein mysteriöser Führer dem Schriftsteller seinerzeit auferlegte.

In die mystische Innenschau trieb es auf dem Camino die US-Amerikanerin Shirley MacLaine: Der Jakobsweg. Eine spirituelle Reise, Goldmann Taschenbuch, 2001, 320 Seiten, 8,50 €). Sie entdeckte sich darin als dunkelhäutige, muslimische Geliebte Karls des Großen wieder. Sie visionierte sich in ihrem Buch gar in vorgeschichtliche Zeiten zurück. Ihr Erlebnisbericht gehört neuerdings zur Camino-Lektüre.

„Der Weg ist das Ziel“, so heißt es auf dem Camino. Ein Ziel, das seit 25 Jahren immer populärer wird. 1987 erreichten Santiago de Compostela knapp 3.000 Pilger – beinahe 70.000 waren es im Jahr 2002. In „heiligen Jahren“ (wenn der Todestag des Heiligen Jakobus, der 25. Juli, auf einen Sonntag fällt) steigt die Zahl sprunghaft an: 1999 wurden fast 155.000 Pilger registriert.

Der Camino ist eine Wiederentdeckung. Zum Apostelgrab nach Santiago zu pilgern entwickelte sich im Mittelalter zur größten Wallfahrt des christlichen Abendlandes. Durch Europa ziehen sich zahllose Jakobswege, die sich in Spanien zu einem Hauptweg von knapp 800 Kilometer Länge vereinen. Diese Route geht über Roncesvalles (Schauplatz des mittelalterlichen Rolandsliedes) über Pamplona, Burgos und León, heutzutage eine Hauptverkehrsroute Spaniens.

Dass es Zweifel an der Echtheit der Reliquie des Apostels Jakobus gibt, hat der Popularität des Pilgerwegs nicht geschadet. Die Legende vom Apostelgrab taucht erst im 9. Jahrhundert auf, die Umstände sind verworren, etliche Berichte wurden gefälscht.

Seinen Erfolg verdankt der Camino praktisch einer Bewegung „von unten“. Wo Jerusalem für Leute zu Fuß immer weit entfernt lag und die Pilgerschaft nach Rom immer auch Demut vor der Autorität der katholischen Kirche bezeugte, ähnelte und ähnelt die Pilgerschaft nach Santiago eher einer Volksbewegung der Frömmigkeit samt Wunderglauben und Reliquienverehrung.

Eine gute und preiswerte Infrastruktur für Pilger zu Fuß und mit dem Fahrrad und die kulturhistorischen Zeugnisse vergangener Zeiten machen den Camino heutzutage immer interessanter. 1987 verlieh der Europarat in Straßburg dem Camino das Prädikat „Erste europäische Kulturstraße“.

CHRISTEL BURGHOFF